Dr. Guido Steinberg, 42, Terrorismus-Experte und Islamwissenschaftler der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin

1. Hamburger Abendblatt:

Innenminister Thomas de Maizière will trotz bestehender Terrorgefahr die Polizeipräsenz zurückfahren. Ist das der richtige Schritt?

Guido Steinberg:

Als Außenstehende müssen wir auf die Einschätzungen der Innenbehörden vertrauen. Allerdings sind Maßnahmen gegen Terrorismus immer ein zweischneidiges Schwert: Sobald der Reichstag als mögliches Terrorziel bekannt ist, steht er nicht mehr im Fokus der Terroristen. Sie suchen sich dann andere, sogenannte weiche Ziele, wie den öffentlichen Nahverkehr oder Verlagshäuser. Zugespitzt formuliert: Die Polizeipräsenz am Reichstag schützt die Politiker, erhöht aber gleichzeitig die Gefahr für Anschläge auf Zivilisten an anderen Orten.

2. Als im November mögliche Pläne für Anschläge auf den Reichstag bekannt wurden, bestand also keine Gefahr mehr für das Parlament?

Steinberg:

Wir haben es bei den Terroristen mit angelernten Amateuren zu tun. Zwar gibt es Hinweise auf halbwegs ernst zu nehmende militärische Ausbildungen in Pakistan. Dagegen ist die Polizei hier gewappnet. Schützt sie ein Gebäude, ist sie Terroristen überlegen.

3. Für wie wahrscheinlich halten Sie es, dass es vor allem die hohen Kosten für die Einsätze waren, die jetzt zur Entscheidung des Ministers führten?

Steinberg:

Unsere Sicherheitsbehörden würden ein Sicherheitsrisiko nicht aus Kostengründen ignorieren.

4. Die verdeckten Ermittlungen gegen Terrorzellen gehen weiter. Ist das effektiv?

Steinberg:

Die Behörden haben vor allem in der klassischen Spionagearbeit große Defizite. Zwar gibt es Fortschritte, aber noch immer wissen sie zu wenig über die Menschen, die ins militante Milieu abrutschen. Hier müssen die Behörden stärker in Moscheen und islamistischen Zirkeln ermitteln. Seit Jahren zeigen die Nachrichtendienste Schwächen, wenn es um das Einschleusen von V-Leuten in die Szene geht.

5. Braucht Deutschland schärfere Sicherheitsgesetze?

Steinberg:

Wir führen Scheindebatten über Vorratsdatenspeicherung und Onlinedurchsuchungen. Notwendig ist ein aggressiveres Vorgehen von Polizei und Nachrichtendiensten bei der Informationsgewinnung in radikalen Milieus. Die Politiker scheuen sich, diese Schwächen anzusprechen, das sind unpopuläre Forderungen. Deutsche Sicherheitsbehörden sind zudem in Pakistan sehr schwach aufgestellt. Bei den Aktivitäten der Terroristen dort sind wir vollkommen abhängig von Informationen der Amerikaner.