Prof. Reinhard Merkel, 60, ist Professor für Strafrecht und Rechtsphilosophie an der Uni Hamburg.

1. Hamburger Abendblatt:

Wird durch die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Hamburg, einen Lehrer nicht zu entlassen, obwohl auf seinem PC Kinderpornografie sichergestellt wurde, der Besitz solcher Daten verharmlost?

Reinhard Merkel:

Nein, im Gegenteil: Das Gesetz bedroht jemanden, der Kinderpornografie bloß besitzt, weil er sie zugesandt bekommen und behalten hat, mit der gleichen Strafe wie den, der sie sich aktiv verschafft, also den schmutzigen Markt mitbedient hat. Das ist unter schuldstrafrechtlichen Gesichtspunkten nicht richtig. Das Gericht differenziert feiner, und das ist zu begrüßen.

2. Im Fall des Lehrers war eine Gehaltskürzung um 20 Prozent für drei Jahre die "höchstzulässige Maßnahme". Ist das denn gerecht?

Merkel:

Ich halte die Milderung der ursprünglich verhängten Sanktion für angemessen und in diesem Sinne auch für gerecht.

3. In einem Verhör hat der angeklagte Lehrer angegeben, die Bilder nur aus Neugier heruntergeladen zu haben. Ist es für die Strafe relevant, ob aus Neugier oder wegen sexueller Neigungen Pornografie konsumiert wird?

Merkel:

Es ist nicht relevant für die Frage, ob jemand verurteilt wird, aber es spielt eine Rolle für das Strafmaß. Jemand, der sich aus Neugier Kinderpornografie herunterlädt, mag sie ja bald danach angeekelt wieder schließen. Jemand, der dies aus sexuellen Neigungen tut, vermutlich nicht. Der Gesetzgeber hält dies für verwerflicher.

4. Wäre eine angemessene Bestrafung straffällig gewordener Lehrer nicht einfacher, wenn Beamte nicht mehr auf Lebenszeit ernannt würden?

Merkel:

Nein. Für die Aufhebung des Beamtenstatus reicht eine Verurteilung zu einem Jahr Freiheitsstrafe aus. Vergehen von Beamten können also angemessen geahndet werden. Beamte nur zum Zweck der Erleichterung von Sanktionen nicht mehr auf Lebenszeit zu benennen, wäre abwegig.

5. Laut Urteil des Hamburger Oberverwaltungsgerichts hat sich der Angeklagte vorher nie etwas zuschulden kommen lassen. Ist das ein praktikables Kriterium für Strafmilderung? Hätte es nicht ebenso gut sein können, dass er sich früher nur nicht hat erwischen lassen?

Merkel:

Das ist nicht nur praktikabel, das darf gar nicht anders gehandhabt werden! Wer bei Besitzern von Kinderpornografie nach dem Motto: "Die kennt man schon" bloße Schuldvermutungen ausreichen lässt, verletzt einen der wichtigsten Grundsätze unseres Rechtssystems: Im Zweifel für den Angeklagten! Dieses Prinzip ist ein Grund- und Menschenrecht. Daran darf nicht gerüttelt werden.