Vor 125 Jahren erfanden Daimler und Benz den Motorwagen. Deutschlands erste Ampel und die erste Straßentankstelle standen in der Hansestadt.

Hamburg. Im Sommer 1888, zwei Jahre nach Erfindung des Autos, müht sich Bertha Benz auf den 106 Kilometern von Mannheim nach Pforzheim mit dem Benz Patent-Motorwagen Nummer 3 ihres Mannes ab. Die resolute Frau lässt an Steigungen ihre beiden Söhne schieben und muss in Wiesloch den verdutzten Stadtapotheker dazu bringen, ihr das brandgefährliche Ligroin als Kraftstoff für den winzigen Vier-Liter-Tank zu verkaufen. Diese erste Überlandfahrt mit dem Einzylinder-Dreirad soll für die Erfindung ihres Mannes bei der Kundschaft werben, die den Motorwagen anfangs meidet wie eine ansteckende Krankheit.

Einige Zeit später findet das "Höllengefährt", wie Zeitungen damals schreiben, selbst im hohen Norden seine Fans. Sechs Jahre nach Bertha Benz' Reklamefahrt rollt in Hamburg das erste Auto. Am Steuer sitzt ein Kind: 1894 kaufte Friedrich Hermann Faerber, Inhaber des 1879 von ihm gegründeten Panoptikums, einen "Patent Motor Wagen" von Benz & Cie. Mannheim. Ein Werksingenieur begleitete damals die Anlieferung. Da der Käufer selbst zu dieser Zeit krank war, wurde sein Sohn Arthur Faerber im Alter von 14 Jahren in die Benutzung des stinkenden und lärmenden Fahrzeugs eingewiesen.

Wenig später fuhren an der Elbe ein Herr Lewerenz und der allem Neuen aufgeschlossene Reeder Adolf Woermann einen Daimler, deren Wagen übrigens nach der Tochter des Großkunden Emil Jellinek ab 1902 Mercedes hießen. "Die Hamburger wollten nicht nur auf dem Wasser mobil sein, sondern auch auf der Straße, und waren der Technik gegenüber aufgeschlossen", sagt der Hamburger Autoexperte und Oldtimersammler Andreas Gumz. Lange vor der Massenfertigung war das Automobil ein Spielzeug der Reichen. Ihre ersten Autos glichen Kutschen mit Motoren, denn die aufkommende Industrie orientierte sich an dem, was bisher über die Straßen zuckelte.

In den Anfangsjahren arbeiteten Tüftler bei zeitweise mehr als 100 Autoherstellern in Deutschland an verschiedensten Konzepten. Die Branche ist von Standards noch weit entfernt, auch bei den Antrieben. So durchbricht als erstes ein zigarrenförmiger Wagen die Marke von 100 km/h - es ist ein Elektroauto. Die Ingenieure experimentierten damals mit Bleibatterien und stellten fest, dass die Effizienz des Elektroantriebs um ein Vielfaches höher ist als beim Verbrennungsmotor, der so viel Wärme produziert, dass es sich dabei eher um einen fahrenden Ofen handelt. Heute, 125 Jahre später, erinnert sich die Autobranche bekanntlich wieder an die Elektromotoren.

1903 baute Spyker in Holland das erste Auto mit Allradantrieb, und der Spaß an den flotten Vehikeln tritt in den Vordergrund: Die Oberschicht misst sich in zahlreichen Rennen. Für andere zählt nicht nur die Schnelligkeit. "1905 veranstalteten die Mitglieder des Hamburger Polo-Clubs die erste deutsche Schönheitskonkurrenz für ihre Autos. Das zeigt, wie autovernarrt die Hanseaten damals schon waren", sagt Wiebke Hillers, die 1966 mit ihrem Vater Franz F. Hillers in Tremsbüttel das erste private Automuseum gründete.

1907 gab es in Hamburg bereits 471 Kraftfahrzeuge, der Großteil davon Motorräder und Lastwagen, sodass die Stadt einen ersten Omnibusverkehr einsetzte, um die Bevölkerung zu transportieren. Allerdings nicht sehr schnell. Die maximale Geschwindigkeit sollte "im Interesse der Sicherheit des Publikums" 20 km/h nicht überschreiten. Für die Strecke Tangstedt-Hamburg und zurück, die am Hühnerposten startete, musste man sich dementsprechend bis zu vier Stunden Zeit nehmen. 1911 weihte der Kaiser, der die Mobilität der Bürger als wichtige Quelle des Fortschritts sah, den Elbtunnel ein.

Der Verkehr wurde immer mehr zur Herausforderung in der wachsenden Stadt - 1913 wurde Hamburg zur Millionenmetropole. Die erste deutsche Ampel wurde 1922 auf dem Stephansplatz aufgestellt, 1923 eröffnete die Dapolin Hamburg die erste deutsche Straßen-Zapfstelle an der Wagnerstraße. 1930 wurde der Verkehr auf sechs Kreuzungen per Ampel geregelt, denn, wie das Hamburger Fremdenblatt schon damals konstatierte, gibt es "schwarze Schafe unter den Autofahrern und Fußgängern", sodass der Regelungsbedarf durchaus schon damals bestand.

"Die meisten Autobesitzer fuhren allerdings nicht selber, sondern ließen fahren", sagt Andreas Gumz. Die Anstellung eines Chauffeurs sei bei den Reedern oder Industriellen Hamburgs damals so selbstverständlich gewesen wie die Beschäftigung eines Dienstmädchens. 1929 war der verkehrsreichste Punkt Hamburgs die Kreuzung Esplanade und Neuer Jungfernsteig. Bei einer Verkehrszählung kam man auf täglich 1598 Pferdefuhrwerke, 12 957 Radfahrer, 1541 Straßenbahnen und 22 073 Automobile, die hier vorbeiratterten. "Die Stadt dehnte sich in den Norden und den Westen bis nach Blankenese aus, die Leute zogen raus aus der überfüllten Stadt, sodass der Verkehr immer mehr zunahm", weiß Gumz.

In dieser Zeit begründeten Max und Oscar Vidal die Tradition des Autobaus in der Hansestadt. Vater Max, ein Kohlenhändler, und sein Sohn legten 1928 den Grundstein für eine Autofabrik, die Weltruhm erlangte: das Tempo-Werk in Harburg. Der Beginn des Autobaus in Hamburg basierte weniger auf dem vielleicht typisch schwäbischen Sinn für Technik, sondern auf dem hanseatischen Gen, das die Stadt so reich machte: auf kaufmännischem Kalkül. "Mein Großvater hatte in Hamburg einen Kohlenhandel, und unser großer Importhafen und die vielen Menschen in der Stadt verlangten einfach nach einer effizienten Lösung für den Kohlentransport", sagt Edmund Vidal, der Sohn des Firmengründers Oscar Vidal. Der dreirädrige Transporter namens Tempo mit Zweizylindermotor und 14 PS wurde zum Lastauto des Wiederaufbaus nach dem Krieg. Sein Erfolg weckte später sogar Begehrlichkeiten bei den Geburtshelfern des Automobils in Stuttgart: Daimler beteiligte sich am Tempo-Werk und fertigt noch heute an dem traditionsreichen Standort in Harburg Teile für alle Mercedes-Modelle, vom Smart bis zur S-Klasse.

Die Mobilisierung hatte nicht nur Freunde. Bereits vor dem Zweiten Weltkrieg fühlte sich so mancher Hamburger offenbar schon dem Verkehrsinfarkt nahe: 1931 sah sich das Hamburger Fremdenblatt unter der Überschrift "Unser Zeitgenosse, das Auto", genötigt, den Ärger der Bürger über die Automobile zu thematisieren, und betont, dass "jeder Fortschritt zugleich auch ein Rückschritt" ist, dass es "knattert und stampft und kreischt und (...) den lieben langen Tag, dass die Nerven der Großstädter arg in Mitleidenschaft gezogen werden". Sogar in die Kutschpferde denkt sich der Schreiber hinein: "Hier und da trotten ein paar Vorkriegs-PS an uns vorüber, missmutig sehen sie in die Welt. Sie wissen, dass sie bald abgebaut werden. Nun schmeckt der Hafer nicht mehr wie früher."

Zunehmend wurde auch die Verkehrssicherheit zum Thema. Rauchende Kraftwagenführer wurden 1939 in der Zeitung aufgefordert, beide Hände ans Steuer zu nehmen. Während der Nazi-Zeit sorgte die NSDAP für die zunehmende Mobilisierung der Massen. Die Motor-HJ wurde auf Motorrädern und Fahrzeugen geschult, der Volkswagen sollte die individuelle Mobilität auch den Arbeitern ermöglichen, die ersten Fahrzeuge konnten per Ratenzahlung finanziert werden.

1950, als gut 47 000 Autos in der Hansestadt fuhren, atmeten viele Hamburger auf: Das in der Besatzungszeit eingeführte BH-Kennzeichen wurde wieder in HH umgewandelt. In den Nachkriegsjahren etablierte sich an der Wendenstraße zudem ein Hersteller von Kleinlastern, Wendax. Der Autobauer fertigte insgesamt 120 Fahrzeuge, die zum Teil mit Motoren der ILO-Werke in Pinneberg angetrieben wurden.

Auch ein weiterer Name, der den Fahrzeugbau der Zeit prägte, kommt aus dem Dunstkreis Hamburgs: Carl F. W. Borgward, der in Bremen seine berühmte Autofabrik gründete, wurde in Altona geboren. 1961 geriet die Unternehmensgruppe, größter Arbeitgeber Bremens, allerdings in finanzielle Schwierigkeiten, die kurze Zeit später zum Ende des Unternehmens und der Marke Borgward führten.

Was geblieben ist, ist die Begeisterung der Hamburger für das Automobil. Die Stadt ist trotz des fragwürdigen Wetters Hauptstadt der Cabrios. Auch Bertha Benz hat bei den Hanseaten offenbar einen bleibenden Eindruck hinterlassen: In der Stadt fahren heute mehr als 90 000 Mercedes-Benz.