Karl-Peter Naumann, 60, Chef von Pro Bahn

1. Hamburger Abendblatt:

Herr Naumann, Berichten zufolge sind ein Güter- und ein Personenzug auf demselben Gleis unterwegs gewesen. Wie kann so etwas passieren?

Karl-Peter Naumann:

Solche Vorfälle sind extrem selten. In der Regel sind die Strecken so ausgestattet, dass der Zug zwangsgebremst wird, wenn er ein rotes Signal überfährt. Dieses System funktioniert über Magnete am Signal und am Zug und nennt sich Indusi. Wir wissen aber nicht, ob die Strecke, auf der sich der Unfall ereignete, mit Indusi ausgestattet ist. Zu DDR-Zeiten war sie es zumindest nicht. Es gab und gibt im Osten immer noch Strecken, die nicht über dieses System verfügen. Wäre sie auch heute noch nicht damit ausgestattet, wäre das ein Skandal.

2. Galt denn die Strecke, auf der der Unfall stattfand, als überlastet, zum Beispiel durch enge Taktung oder geschlossene Ausweichstrecken?

Naumann:

Nein, dort verkehren Regionalzüge im Stundentakt und einige Güterzüge. Das ist eine völlig normale Belastung. Die Bahn ist auch dabei, diese Strecke auf 120 Stundenkilometer Höchstgeschwindigkeit auszubauen mit allen dazugehörenden Maßnahmen zur Zugsicherung.

3. Verunglückt sind ein Regionalzug und ein Güterzug von privaten Unternehmen. Wie ist es angesichts des Kostendrucks bei diesen Unternehmen um die Sicherheit bestellt?

Naumann:

Die Eigentumsverhältnisse sind in diesem Zusammenhang völlig egal. Jeder Bahnanbieter muss die erforderlichen Sicherheitsprüfungen ablegen. Und Unfälle gab es auch zu Zeiten der Staatsbahn, beispielsweise die tragische Kollision von Radevormwald 1971, bei der ein Personenzug mit einem Güterzug zusammenstieß und 46 Menschen getötet wurden.

4. Aber wie kann noch fast 40 Jahre nach Radevormwald zu solchen Kollisionen kommen?

Naumann:

Den Berichten zufolge stand das Signal für den Personenzug auf Grün, das heißt, der Güterzug muss bei Rot gefahren sein. Es ist möglich, dass die Sicherung im Güterzug wegen eines Defekts ausgestellt war und der Zugführer eine Sondergenehmigung hatte. Wir müssen jetzt erst einmal die Untersuchungsergebnisse abwarten.

5. Sind die Bahn und die Behörden ausreichend auf solche Unglücke vorbereitet?

Was an unmittelbaren Rettungsmaßnahmen gelaufen ist, war offenbar vorbildlich. Jeder Tote ist einer zu viel. Dennoch ändert der Unfall nichts daran, dass die Bahn immer noch das sicherste Verkehrsmittel ist - weit vor dem Straßenverkehr. Der Bund ist aber in der Pflicht, dass die Sicherheit bei der Bahn in vollem Maße gewährleistet ist.