Prof. Dr. Kai-Uwe Schnapp, 44, lehrt Politologie an der Uni Hamburg mit Schwerpunkt Landtagswahlen.

Hamburger Abendblatt:

1. Die Hamburger können bei den Bürgerschafts- und Bezirkswahlen am 20. Februar zum ersten Mal insgesamt 20 Kreuzchen machen. Ist das überhaupt eine sinnvolle Änderung?

Kai-Uwe Schnapp:

Ja und nein. Das Ziel der Wahlrechtsreform ist es doch, den Wählern in Hamburg mehr Mitsprache bei der personellen Zusammensetzung der Parlamente zu geben. Das ist sinnvoll, aber es macht die Wahl dadurch auch komplexer und schwieriger. Andererseits hat man ja weiter die Möglichkeit, das Kreuzchen nur für eine Partei zu machen.

2. Was sind die weiteren Folgen dieser komplizierten Wahlmodalitäten?

Schnapp:

In Hamburg wurde lange um das neue Wahlrecht gestritten. Was vorliegt, ist ein guter Kompromiss. Der Nachteil ist allerdings vor allem: Das vorläufige amtliche Endergebnis und erst recht das amtliche Endergebnis werden deutlich später vorliegen als gewohnt. Aber das ist aus meiner Sicht nicht dramatisch.

3. Wie realistisch ist es denn, dass die Bürger die unterschiedliche Bedeutung der vier Landes- beziehungsweise der jeweiligen Bezirkslisten und Wahlkreislisten im Einzelnen erkennen?

Schnapp:

Man muss sehen, wie sich die Möglichkeit, Stimmen zu verteilen, in Hamburg tatsächlich auswirkt. In Kommunen, auch in großen wie etwa in München, gibt es ein ,Vielstimmenwahlrecht' bereits seit Langem, aber auf Landesebene ist es ein Novum. Untersuchungen zeigen, dass manche Wähler auch bei dem herkömmlichen Wahlrecht Schwierigkeiten haben, die Bedeutung von Erst- und Zweitstimme zu unterscheiden.

4. Wie viel mehr Verantwortung hat der einzelne Bürger durch die neuen Möglichkeiten?

Schnapp:

Er muss sich mehr informieren, einmal über die Partei und dann über die Personen. Wenn er die neuen Möglichkeiten nutzen will, dann spielt es plötzlich eine Rolle zu wissen, ob ein Kandidat zum rechten oder zum linken Flügel einer Partei gehört. Wahrscheinlich werden den Informierten die zusätzlichen Entscheidungsmöglichkeiten nutzen, weniger gut informierten Bürgern aber eher nicht.

5. Bedeuten mehr Wahlmöglichkeiten auch mehr Demokratie?

Schnapp:

Eindeutig ja. Die Wähler können viel differenzierter Einfluss nehmen. Bislang haben sie eine Partei gewählt. Jetzt können sie sich ihre Bürgerschaft auch auf der Ebene der Personen selbst zusammenstellen und einzelnen Personen ein großes Wahlgewicht geben. Die Ausdrucksmöglichkeiten des Einzelnen wachsen damit stark an.