Das neues Programm der Hamburger Sozialbehörde ist nach der Ansicht von Experten zu teuer. Die SPD befürchtet Risiken im Haushalt.

Hamburg. Der Sozialstaat ist auch ein Ungetüm aus Kabeln und Platinen. An 1850 Bildschirmen sitzen Mitarbeiter, verteilen Wohngeld oder Erziehungshilfe, stimmen zu oder lehnen ab, mehr als eine Milliarde Euro staatlicher Hilfen saust jedes Jahr durch die Datenkanäle. Das System wurde 1990 programmiert, damals flimmerten viele Bildschirme noch grün. Ernsthaft bestreitet also niemand, dass die Stadt neue Technik braucht. Zumal vom Fluss der Informationen abhängen kann, ob die Behörde etwa auf Fälle von Kindervernachlässigung zügig reagiert.

Doch die veranschlagten Kosten lassen nicht nur Haushaltspolitiker erschaudern. 112 Millionen Euro sind bis zum Jahr 2015 eingeplant, inklusive Schulungskosten und dem Aufwand, jahrelang zwei Systeme nebeneinander laufen zu lassen. Die Abgeordneten luden zur Expertenanhörung im Ausschuss. Wie dem Abendblatt nun bestätigt wurde, war dort nicht nur eine dreifache Kostensteigerung im Gespräch. Der geladene IT-Experte Karl Schmitz von der Firma tse sagte dem Abendblatt, die geplanten Mittel in Höhe von 60 000 Euro pro Arbeitsplatz seien gigantisch. "Schon wenn die Kosten je Arbeitsplatz 20 000 Euro übersteigen, würde ich mir als Manager große Sorgen machen", sagte Schmitz, der Erfahrung hat mit großen IT-Systemen.

Aus seiner Sicht erscheint zudem die Vertragslage verworren: Die staatliche IT-Firma Dataport hat den Konzern Hewlett-Packard beauftragt, die wiederum den irischen Subunternehmer Curam verpflichtet. Das ist das Ergebnis einer europaweiten Ausschreibung. Die Software gilt in Expertenkreisen als zuverlässig und kostengünstig und läuft in vielen angelsächsischen Städten, von New York bis Auckland in Neuseeland. Allerdings muss das System erstmals ins Deutsche übersetzt und an Gesetze angepasst werden. Laut Sozialbehörde können 70 Prozent als fertige Module übernommen werden.

"Kommt es zu Pannen, was wahrscheinlich ist, geht in dieser Vertragsstruktur ein endloses Schwarzer-Peter-Spiel los", sagt IT-Experte Schmitz. Er war nur wenige Tage vor der Anhörung eingeladen worden, die Stadt ließ dem einzigen unabhängigen Experten also wenig Zeit. "Eine genauere Vorbereitung wäre hilfreich gewesen, war mir aber nicht möglich", sagt der Fachmann.

Bei der SPD, die laut Umfragen nach den Wahlen in die Regierung gelangen könnte, fürchtet man eine finanzielle Tretmine. "Wir lassen uns keine Haushaltsrisiken von bis zu 300 Millionen Euro um den Hals hängen", sagte Sozialexperte Thomas Böwer, der eine eingehende Neuprüfung des Projektes verlangt. "Die Vergabestruktur erinnert leider an das Chaos beim Bau der Elbphilharmonie", sagt Böwer. Laut Sozialbehörde könne das System langfristig auch Beträge in Millionenhöhe sparen - fehlerhafte Vergaben seien leichter vermeidbar, wenn sämtliche Informationen erst gleichzeitig abrufbar sind, sagte eine Sprecherin. Angeschlossen werden auch Computer der Polizei, was Datenschützer noch auf den Plan rufen könnte. Personal werde das Programm jedoch nicht sparen, hieß es. "Nur drei Anbieter haben sich den Auftrag überhaupt zugetraut, davon haben wir den günstigsten ausgewählt", sagte die Sprecherin. Die Software sei indes nicht mit normalen Programmen in Betrieben vergleichbar. "Der soziale Bereich ist sehr viel komplexer."