Claus Fehling hilft Chefs dabei, unliebsame Mitarbeiter loszuwerden. Er ist Dienstleister für Firmen und Entlassungs-Kandidaten zugleich.

Hamburg. Unten, an der Eingangstür des Bürokomplexes am Hamburger Baumwall kommen sie an. Sie suchen am Klingelbrett den Namen von Claus Fehling. Aber sie finden nur einen kleinen Schriftzug neben dem Klingelknopf: "GMC Management Consulting". Mit dem Aufzug geht es in den dritten Stock. Es geht vorbei an der netten Sekretärin. Und schließlich in ein schlichtes Büro.

Claus Fehling sieht ein bisschen so aus wie Bundestagspräsident Norbert Lammert. Der 60-Jährige lächelt meistens, plaudert über die Oper, das Theater, das Leben. Er ist ein Kontakt-Mensch. Er fremdelt nicht. Er kann trösten. Er kann aufbauen. Das ist wichtig, denn die Menschen, die zu Claus Fehling kommen, sind meist gegen ihren Willen hier.

Anne Müller* arbeitete 14 Stunden am Tag. Als IT-Leiterin ihres Unternehmens war sie Chefin von 30 Menschen. Sie fuhr einen BMW als Dienstwagen.

Michael Neumann* leitete einen Geschäftsbereich einer amerikanischen Firma in Deutschland, war für ganz Europa zuständig, hatte 30 Mitarbeiter.

"Du bist mit heutiger Wirkung freigestellt." Das Unternehmen, in dem Anne Müller arbeitete, war verkauft worden. Die neuen Eigentümer tauschten die alten Führungskräfte gegen ihre Vertrauensleute aus, ein ganz normaler Vorgang.

"Es tut mir leid. Die Leitungsposition übernimmt jemand anders. Wir müssen überlegen, ob wir etwas anderes für Sie finden." In der neuen Struktur von Neumanns Firma gab es keinen Platz für ihn. Ebenfalls eine ganz normale Sache.

Irgendwann im vergangenen Jahr standen Anne Müller und Michael Neumann vor dem Bürohaus am Baumwall. Es war ein komisches Gefühl für Müller und Neumann. Claus Fehling bekommt sein Geld von der Firma, die unliebsame Mitarbeiter loswerden will. Outplacement-Berater nennt er sich. Ein Berater für Trennungen. Das klingt zynisch. Und befremdlich ist es schon, wenn auf seinem Schreibtisch Notizen über mögliche Auftraggeber herumliegen: "130 Mitarbeiter, 30 bis 40 Prozent gehen raus", steht auf einem Zettel. Seine Branche ist eine Wachstumsbranche, der Umsatz ist von 2002 bis 2010 von 37 auf 58 Millionen Euro gewachsen.

Durch den Kinofilm "Up in the Air" wurde Fehlings Branche berühmt - und Fehling selbst bekam mit George Clooney in der Hauptrolle des Films ein unsympathisches Alter Ego: Clooney alias Ryan Bingham feuert im Auftrag von Unternehmen Beschäftigte, weil die Firmenchefs selbst nicht genügend Mumm dafür haben. "Wir übernehmen die Menschen in dem zerbrechlichsten Moment ihres Lebens und überlassen sie den Wellen", philosophiert Bingham. Auch er gibt Gekündigten Tipps: "Machen Sie morgen Sport, fassen Sie wieder Tritt. Wir melden uns bald." Er meldet sich nie.

"Nein, so ist es nicht", sagt Claus Fehling. Er wird nicht engagiert, um Menschen zu feuern. Er wird engagiert, wenn das Unternehmen die Trennungsabsicht geäußert hat. Er betreut die Ungewollten so lange, bis sie einen neuen Job gefunden haben.

Für die Gekündigten besteht der Vorteil darin, dass sie einen Betreuer haben - ab dem Moment, in dem der Chef die Trennung bekannt gibt. Es ist wie bei einer Trennung vom Lebenspartner: Zuerst ist da die Wut, dann die Trauer, die Leere. Und dann folgt hoffentlich neuer Mut und vielleicht ein neuer Partner. Und Claus Fehling ist der Therapeut, der sie fit machen soll für einen neuen Arbeitgeber.

Fehling sucht nach den Stärken und erstellt ein neues Bewerbungsprofil inklusive Lebenslauf und Anschreiben. Er bereitet aufs Vorstellungsgespräch vor, prüft ein Jobangebot, gibt Tipps für die Gehaltsverhandlungen. Ein Rundum-sorglos-Paket auf Kosten der alten Firma. "Jede Neuanstellung ist die Chance, besser zu werden", sagt Fehling.

Für die Firmen besteht der Vorteil darin, dass die Trennung geräuschlos erfolgt. Der Mitarbeiter oder die Mitarbeiterin geht und verbreitet keine bösen Horrorgeschichten im Unternehmen oder gegenüber der Presse. Im Idealfall einigen sich Firma und Angestellter auf einen Aufhebungsvertrag - eine Trennung im gegenseitigen Einvernehmen. Ein Krieg vor dem Arbeitsgericht bleibt dem Unternehmen erspart. Am Ende steht die Firma als verantwortungsbewusstes Unternehmen da. Das ist nicht nur gut für die Firma, sondern auch für die "Survivors", sagt Fehling - also für die nicht gekündigten Mitarbeiter der Firma, die "Überlebenden".

Outplacement ist in Deutschland noch unbekannt. Dabei ist das Konzept die Zukunft, sagt Fehling. In den Niederlanden gibt es schon mehr als 200 Outplacement-Beratungen. In Deutschland sind es gerade 35, fünf davon in Hamburg. Acht Mitarbeiter hat Fehling bei der Firma GMC. Sie verdienen ihr Geld damit, dass Menschen entlassen werden. 25.000 Euro kostet zum Beispiel das Outplacement-Programm von Michael Neumann.

Noch ist Outplacement ein Thema für Führungskräfte mit Top-Gehältern. Anne Müller hat zuletzt 140.000 Euro verdient, Michael Neumann 160.000. Doch bald wird Outplacement auch für andere Gehaltsklassen interessant, glaubt Fehling. Erwerbsbiografien sind geprägt von vielen Arbeitgebern, die gewisse Kompetenzen eines Mitarbeiters für eine gewisse Zeit benötigen. "Was soll man machen mit einem Arbeitnehmer, der 43 Jahre alt ist und mit dem man nicht mehr zufrieden ist?", fragt Fehling. "Warum sollte man ihn noch 20 Jahre behalten?"

Fehling sagt, dass Outplacement immer mehr zum Thema für Fachkräfte wird, die so dringend gesucht werden. "Chemische Verwerfungen", also Verstimmungen zwischen Chef und Angestelltem, sind nämlich unabhängig von der Konjunktur, sagt Fehling. Sein Geschäft sei krisensicher.

Im Januar 2010 sitzt IT-Leiterin Anne Müller zum ersten Mal in Fehlings Büro. Innerhalb von zehn Jahren hatte sie sich von der Einkäuferin zur Chefin hochgearbeitet. Dann der Verkauf ihrer Firma, die Freistellung. "Das ist eine der brutalsten Sachen, die man Führungskräften antun kann. Man ist freigestellt, man wird nicht mehr gebraucht", sagt Müller. Sie trägt auch in Fehlings Kandidatenbüro einen Hosenanzug und hat ihre blonden Haare straff zum Zopf gebunden. Sie weiß sich durchzusetzen, lächelt nie. "Mir wurde jetzt jegliche Kompetenz abgesprochen", sagt sie. Claus Fehling hört ihr zu. Er sagt, dass sie drei Monate zusammenarbeiten werden. "Ich verspreche Ihnen, danach freuen Sie sich aufs erste Bewerbungsgespräch."

Michael Neumann sitzt im Juni zum ersten Mal in Fehlings Büro. "Es kann doch nicht sein, dass du dir 20 Jahre den Arsch aufgerissen hast - und dann so abserviert wirst", sagt er. Doch die Wut, das Gefühl der Ohnmacht sind schnell weg. Er trägt bei Fehling auch keinen Anzug, sondern Jeans, Hemd und Pullover. "Was ist dieser Michael Neumann für ein Typ?", fragt Fehling ihn. Es ist die Eingangsfrage.

Am Anfang einer Beratung erzählt Claus Fehling über sich selbst: Abitur, Jura-Studium, Arbeit in der Firma seiner Schwiegereltern, Personalleiter bei Grundig, zuständig für 500 Mitarbeiter. 1992 Kündigung, weil er mit dem Chef nicht klarkam. Er heuerte bei einem Energieunternehmen an, doch er und die Firma passten nicht zusammen. Noch in der Probezeit ging er und machte eine Outplacement-Beratung. Sein Berater bremste ihn, als er das erstbeste Angebot annehmen wollte. "Herr Fehling, das ist mir nicht gut genug", sagte der Mann. Fehling schlug das Angebot aus und wartete. Dann kam ein besseres Angebot. Er wurde Personalchef bei einer texanischen Firma, zuständig für Deutschland, Österreich und die Niederlande. Er entließ 25 Menschen an zwei Tagen. Dann las er in der Zeitung, dass der Konzern nach einem Personalchef sucht. Es war seine Stellenbeschreibung. In einem Hotel verhandelte er über seine Abfindung - im Zimmer nebenan verhandelte sein Nachfolger um sein Gehalt. Fehling hat die unmenschlichen Mechanismen des Arbeitsmarktes kennengelernt.

Er sagt, dass die Deutschen zu emotional an die Themen Arbeit, Betriebszugehörigkeit und Arbeitslosigkeit herangehen. "Das Thema Job reißt uns zu weit runter. Arbeitslosigkeit ist keine Krankheit", sagt er. Er will das Verhältnis der Deutschen zur Arbeit entemotionalisieren. Deshalb hat ist er Outplacement-Berater geworden. Sein Gehalt bekommt Fehling im Voraus.

Wer als Arbeitnehmer nicht das Glück hat, dass die Firma ein Outplacement-Programm zahlt, landet irgendwann in der Bundesagentur für Arbeit, zieht eine Nummer, bekommt einen Termin bei einem Arbeitsvermittler. In Hamburg kommen auf einen Arbeitsvermittler 260 Kunden. Wer sich intensiv Gedanken über sein Bewerbungsprofil machen will, landet bei der Arbeitsagentur in Gruppen-Seminaren.

Fehlings Kandidaten arbeiten bis Ende ihrer Kündigungsfrist weiter bei ihrer Firma oder sind freigestellt. In Fehlings Büroräumen gibt es drei Kandidaten-Büros - kleine Zimmer mit Schreibtisch. Jeder Kandidat hat einen eigenen Computer. Kaffee und Mineralwasser gibt es bei der netten Sekretärin. Zur Verfügung stehen Zeitungen, montags liegen die Wochenend-Ausgaben mit dem Stellenmarkt bereit. "Die Kandidaten können hier in ihrem Alltag bleiben", sagt Fehling. "Sie müssen sich gegenüber ihren Nachbarn nicht rechtfertigen, können weiter jeden Morgen mit der Krawatte um den Hals zur Arbeit gehen." Viele Kandidaten sagen nur ihren Partnern etwas von der Trennung. Das ist auch gut so, meint Fehling. "Je mehr Menschen davon wissen, desto mehr blöde Fragen gibt es, der Rechtfertigungsdruck steigt."

Aus dem Fenster schauen die Kandidaten auf den Hamburger Hafen, die Baustelle der Elbphilharmonie. Hier wird etwas gemacht, passiert etwas - das will Fehling seinen Kandidaten so symbolisieren.

Anne Müller fällt die Trennung von ihrer Firma schwer. "Ich habe mich immer mit meiner Firma identifiziert und tue das immer noch", sagt sie in einer der ersten Sitzungen. Ihre Kollegen rufen sie häufig an und klagen über den neuen Chef, das macht die Sache nicht einfacher. "Sie müssen loslassen", sagt Fehling. "Das Unternehmen hat Ihnen den Einsatz abgegolten, indem es Sie gut bezahlt hat. Sie sind Ihrer alten Firma nichts schuldig."

Drei Wochen lang beschäftigte er sich mit Müllers Stärken und Schwächen. Am Ende stehen fast 40 Stärken auf dem Chart. 40 Kompetenzen, die Müller wiederfand. Die Schwächen: fehlende Gelassenheit, verallgemeinernde Kritik, Perfektionismus, keine Karriereplanung, kann nicht Nein sagen. Frau Müller hat sich zuletzt in ihrem Job aufgerieben, analysiert Fehling. Sie benötigt bei der nächsten Stelle ein qualifiziertes Umfeld, damit sie nicht wieder alles selbst macht.

Vor allem über das Bewerbungsgespräch will Müller sprechen. Was soll sie sagen, wenn jemand sie nach ihrer alten Stelle fragt? "Diese Position wurde aus politischen Gründen gestrichen", diktiert Fehling. Und soll sie sagen, dass sie freigestellt wurde? Ja, sagt er. "Sagen Sie: Das ist in solchen Positionen so üblich."

Michael Neumann hat anfangs noch große Probleme damit, morgens nicht mehr zur Arbeit zu fahren. Er tobt sich im Garten aus, arbeitet im Haus mit. Er wartet, wenn seine Kinder aus der Schule kommen. Aber er fühlt sich unnütz in seiner neuen Rolle. Seine Kinder fragen: "Papa, wann bekommst du einen neuen Dienstwagen?"

"Sie haben Zeit", beruhigt ihn Fehling. Er soll sich seine guten Chancen nicht verspielen, erst dann auf den Markt gehen, wenn er sich seiner selbst sicher ist. Fehling hat ehemalige Kollegen aus der alten Firma um Mithilfe gebeten: Er hat ihnen einen Fragebogen zu Neumanns Stärken und Schwächen geschickt und ihre Angaben mit Neumanns Selbstwahrnehmung verglichen. "Ich hätte nicht gedacht, dass meine ehemaligen Kollegen meine analytischen Fähigkeiten derart loben", sagt Neumann. Dann machen sie sich an den Lebenslauf. Es ist wichtig, die beruflichen Tätigkeiten mit seinen Stärken in Verbindung zu bringen, sagt Fehling. Am Ende steht in Neumanns Lebenslauf: "Führung und Neuausrichtung des Marketing-Teams", "Verdoppelung des Geschäftswachstums" und "Verantwortung für die erfolgreichste Produkteinführung Europas". Hatte Neumann seinen Lebenslauf auf einer Seite zusammengefasst, jetzt sind es sechs Seiten.

Michael Neumann hat sich gefragt, ob er sich nicht schon vor der Kündigung von seinem Unternehmen getrennt hat. Er war nicht mehr so motiviert am Schluss, hatte keine Lust auf "Politik am Tresen nach Dienstschluss", wie er sagt. Er konnte sich nicht weiterentwickeln.

Fehling lässt ihn vor eine Kamera treten und spielt mit ihm Bewerbungsgespräch. "Ich muss mich kürzer fassen", sagt Neumann danach.

Als die ersten Angebote kommen, rät Fehling, nicht gleich das erstbeste anzunehmen. Dann steht ein Bewerbungsgespräch an. "Fragen Sie, ob es weitere Kandidaten gibt. Versuchen Sie, Informationen über die Dame zu bekommen, die das Bewerbungsgespräch führt", sagt Fehling. Er soll durch Vorinformationen ruhiger werden, auf Augenhöhe mit der Frau sprechen.

Anne Müller arbeitet seit August als IT-Chefin in einer Hamburger Firma. Sie sagt, sie sei sehr zufrieden mit diesem Jahr. Michael Neumann hat Anfang Januar eine Stelle bei einer kleineren amerikanischen Firma angetreten, soll das Deutschland-Geschäft aufbauen. Er sagt: "Ich habe verstanden, dass ich meiner alten Firma nichts schulde, auch nach 20 Jahren nicht. Die emotionale Bindung war brutalst."

Fehling und seine Kollegen hatten im vergangenen Jahr 60 "Einzelmaßnahmen" wie die von Anne Müller und Michael Neumann. 130 Menschen holten die Outplacement-Berater in Gruppen aus ihrer alten Firma. Die meisten haben einen neuen Job gefunden. Die anderen arbeiten mit Fehlings Ratschlägen noch daran. Er will mehr Büros anmieten und zwei, drei zusätzliche Berater einstellen. Claus Fehling sagt, 2010 war ein sehr gutes Jahr. Und 2011 wird noch besser.

* Namen geändert