Die Müttergenesung feiert Jubiläum. Vom reinen “satt essen“ zur modernen Kur. Drei alleinerziehende und berufstätige Frauen berichten.

Hamburg. Alleinerziehend und voll berufstätig - das bedeutet, immer stark sein zu müssen, sich niemals gehen zu lassen. Und vor allem ganz viel Stress. Auch Ulrike Großbongardt aus Mümmelmannsberg kennt den ganz normalen Alltagswahnsinn vieler Mütter. Die 51-Jährige kümmert sich um ihre beiden Kinder, Anna, 10, und Katharina, 16, und hatte zeitweise drei Jobs.

Das belastet. "Irgendwann konnte ich nicht mehr", sagt die alleinerziehende Mutter. Die Müttergenesung - so heißt in Hamburg das Müttergenesungswerk - sorgt für Mütter, die an Erschöpfung oder sogar Depressionen leiden; die Mutter-Kind-Kur war für Ulrike Großbongardt wie ein Befreiungsschlag: "Es war, als ob alle Alltagssorgen von mir abfielen. Ich bin endlich zur Ruhe gekommen."

In diesem Jahr wird die Müttergenesung 60 Jahre alt. Ein Jubiläum, das der Senat heute mit einem Empfang im Rathaus würdigt. "In 60 Jahren hat sich vieles verändert, doch die Arbeit der Müttergenesung hat auch heute nicht an Bedeutung verloren", sagt Kerstin Möller, Hamburger Landesvorsitzende der Müttergenesung.

Elly Heuss-Knapp vereinte 1951 die Frauenverbände zweier Kirchen und mehrerer Wohlfahrtsvereine zum Müttergenesungswerk. Zu dieser Zeit war die Kur als reine Erholungsfahrt gedacht, größtenteils für Frauen, die im Krieg Schicksalsschläge erlitten hatten. In den Kurhäusern konnten sie "endlich einmal ausschlafen und sich satt essen". Auch heute noch erleben Mütter Schicksalsschläge. So wie Elisabeth Weber-Wiese, 43, aus Eidelstedt. Als vor vier Jahren ihr Mann an Krebs starb, wusste sie nicht mehr weiter, ihre Söhne waren erst zwei und fünf Jahre alt: "Es war Chaos ohne Ende. Da gab mir der strukturierte Kuralltag Halt. Man selbst und die Kinder sind versorgt, das ist eine unglaubliche Entlastung", sagt sie. In den 60er-Jahren erlebte die Müttergenesung ihren Höhepunkt: 187 Kurheime nahmen jährlich mehr als 80 000 Mütter auf. Doch bald wurde für die meisten Familien auch ein privater Erholungsurlaub erschwinglich. So passte das Müttergenesungswerk sein Angebot ständig der Zeit an: Die medizinische und psychosoziale Behandlung rückte in den Vordergrund. Der Schwerpunkt der Kur lag darauf, die individuellen Lebensumstände der Frauen zu verbessern, indem die Krankheitsursachen gezielt behandelt wurden. Die Mutter-Kind-Kur gibt es seit den 70er-Jahren, als erstmals Mütter, die während der Schwangerschaft das Schlafmittel Contergan eingenommen hatten, ihre geschädigten Kinder mit zur Kur nahmen.

Auch die Vor- und Nachbereitung der Kuren sind mittlerweile feste Bestandteile der Müttergenesung. "Die weitere Begleitung der Mütter nach der Kur hilft ihnen, sich im Alltag wieder gut zurechtzufinden und die positiven Ansätze der Kur weiter umzusetzen", sagt Regina Ohlsen von der evangelischen Müttergenesung. Auch die Wahrscheinlichkeit, dass die Mütter eine zweite Kur benötigten, sei geringer. Dennoch gibt es auch Ausnahmen: Babara Schütz, 51, zweifache Mutter aus Eimsbüttel, war dreimal zur Kur: "Als Krankenschwester im Schichtdienst habe ich manchmal Tag und Nacht gearbeitet. Geld für Urlaub blieb trotzdem nicht. Der Stress brachte mich immer wieder an meine Grenzen."

Die Belastung von Müttern sei heute unvermindert hoch, sagt die Landesvorsitzende Kerstin Möller. "Besonders Alleinerziehende stehen oft an der Grenze zum Burn-out." Seit 2007 sind die gesetzlichen Krankenkassen verpflichtet, Mütter- oder Mutter-Kind-Kuren zu bewilligen, wenn gesundheitliche Beschwerden nachgewiesen werden. Dennoch: In Hamburg wurde im letzten Jahr fast die Hälfte der Kuranträge abgelehnt, das ist die höchste Ablehnungsrate in ganz Deutschland.

Eine Sprecherin der Techniker Krankenkasse: "Die Ablehnung eines Kurantrags kommt häufig zustande, weil die Mutter ihre Krankheit unzureichend beschreibt." Deshalb sei auch der Erfolg von Widersprüchen so hoch: "Wenn man sich noch einmal zusammensetzt, gibt die betroffene Mutter meist ein genaueres Bild." In Hamburg sind 45 Prozent der Widersprüche erfolgreich. Doch der Widerspruch ist für Mütter am Rand ihrer Kräfte eine extreme Belastung: "Ohne Beratungsstelle sind viele Mütter bei einer Ablehnung entmutigt. Ich rate grundsätzlich jeder Mutter zum Widerspruch", sagt Ohlsen.