Dr. Ute Haug, 44 (Kunsthalle Hamburg), ist eine der bekanntesten Provenienzforscherinnen in Deutschland.

Hamburger Abendblatt:

1. Der bekannte Gobelin aus dem Hotel Vier Jahreszeiten in Hamburg stammt aus jüdischem Besitz, wie erst jetzt bekannt wurde. Auch in Museen schlummert noch manche Raubkunst. Warum hat es so lange gedauert, bis sich die Museen mit dieser Problematik beschäftigt haben?

Ute Haug:

Das hat sehr viele Gründe. Die finanzielle Lage vieler Museen und öffentlicher Einrichtungen war und ist nicht rosig, sodass nicht nur die Provenienzforschung unterfinanziert war und ist, also der Forschungszweig, der die Herkunft der Kunst zum Thema hat. Zudem ist anzumerken, dass es auch international gesehen lange gedauert hat, bis mit dem Jahr 1998 ein Sinneswandel eintrat und eine kontinuierliche Auseinandersetzung mit dieser Thematik an den einzelnen Häusern stattfand. Seit gut zehn Jahren sind die Museen mehr und mehr intensiv dabei, sich damit auseinanderzusetzen.

2. Wie kann es sein, dass zum Beispiel der barocke Gobelin jahrzehntelang im Hotel Vier Jahreszeiten hing, ohne dass jemand wusste, dass es sich um Raubkunst handelt?

Haug:

Ich denke, es wussten doch einige im Umfeld davon, welche Herkunft dieser Gobelin hat.

3. Muss man davon ausgehen, dass sich auch in Hamburger Museen noch bedeutende Werke befinden, die ihren rechtmäßigen Besitzern in der NS-Zeit geraubt wurden?

Haug:

Das ist durchaus möglich, lässt sich aber abschließend erst sagen, wenn alle Kulturgüter, die vor 1945 entstanden und nach 1933 in die Sammlungen gekommen sind, auf ihre Provenienz hin überprüft worden sind. Das hängt wiederum davon ab, wie die Provenienzforschung finanziell und personell unterstützt wird und wie die einzelnen Museen ihre Prioritäten setzen. Bei einer gründlichen Forschung könnte ein überschaubarer Zeitpunkt eingehalten werden. Das scheint aber auf Grund der wirtschaftlichen Probleme eher unwahrscheinlich.

4. Gibt es auch Fälle, in denen Restitutionsansprüche offensichtlich unberechtigt sind?

Haug:

Die gibt es. Zum Beispiel, wenn keine Erbberechtigung vorliegt, es sich nicht um NS-bedingt verbrachtes Kulturgut handelt oder es sich um ein anderes Kunstwerk handelt.

5. Geht es bei der Rückgabe der oft wertvollen Stücke in erster Linie um das Recht oder eher um eine späte Form der Wiedergutmachung begangenen Unrechts, also um Moral?

Haug:

Sowohl als auch. Die Gewichtung zwischen Recht bekommen auf der einen Seite und Unrecht ausgleichen auf der anderen hängt auch sehr stark von den einzelnen Fall- und Familiengeschichten ab, die mit den Kunstwerken verbunden sind.