Klaus Kölpin überwintert in seinem kleinen Boot auf der Süderelbe. Eine Grenzerfahrung, die der 73-Jährige genießt

Harburg. Weiter draußen schiebt der Ebbstrom Eisschollen unter den alten Harburger Elbbrücken hindurch. Wie eine endlose Karawane dicker weißer Häuflein treiben sie an dem Hafenbecken der Knief-Werft vorbei. Die beiden Stege dort sind längst festgefroren im Eis. Nur direkt am Ufer schieben sich zerbrochene Platten übereinander, hin und wieder knackt es gefährlich. Ein schöner Ort, um hier zu wohnen, sagt Klaus Kölpin. Er atmet kurz die scharfe kalte Luft ein, pustet dann in die hohle Hand und deutet ans Ende des Steges. Dort liegt sie im Eis, die "Benny". Ein nur sieben Meter langes Segelboot. Dicker Schnee breitet sich über Deck und Aufbauten aus; so als hätte jemand dieses einsame Schiffchen mit einer weißen Steppdecke verhüllt. Wenn man Kälte malen müsste - so wie dieser eingefrorene Hafen an der Süderelbe könnte es aussehen. "Ich kann selbst kaum glauben, dass man hier schlafen kann", sagt der weißbärtige Segler. Und doch macht er es. Seit Herbst schon ist die "Benny" seine Wohnung, sein Haus im hessischen Rodgau hat er gekündigt. Den ganzen Winter will er ausharren in der Kälte auf dem Fluss, bis er wieder segeln kann. Warum nur?

Kölpin lacht bei der Frage. Eigentlich, so sagt er dann, ist das doch ein großes Abenteuer vor der Haustür. Ein bisschen Expedition, ein wenig Grenzerfahrung. "Ich bin jetzt 73, vielleicht erlebe ich so einen harten Winter zum letzten Mal", sagt er. Und, na ja, wenn er einmal Pause vom Winter-Abenteuer braucht, dann kann er immer noch zum Kaffeetrinken in den nahen Baumarkt gehen. Nachts aber, da muss er Durchhalten bei minus zehn Grad draußen. In der kleinen Kabine, kaum größer als ein Zweimannzelt, hat er einen Keramik-Heizlüfter aufgebaut, einen Gas-Kartuschen-Püster noch dazu für den Notfall. Gerade einmal drei Grad über null schaffen beide Geräte. Unterlage in seiner Koje ist daher eine Heizdecke, in zwei Schlafsäcke hüllt er sich ein. "Man muss die Balance zwischen Schwitzen und Frieren finden", sagt er. Und wenn das Wasser im Tank wieder einmal festgefroren ist, wäscht er sich mit Babytüchern und speziellen Cremes. "Das macht man in der Altenpflege auch so", sagt er, als er die erstaunten Blicke seines Besuchs sieht.

Aber die Wintertour des Klaus Kölpin ist noch mehr: Es ist ein Zurück zu den Wurzeln und soll auch Start für weitere Abenteuer werden. Aber um das zu erklären, sollten wir hoch in die Werkstatt gehen, schlägt er vor.

Dort gibt's dann einen Pott Kaffee und ganz viel Lebensgeschichte: Kölpin erzählt, wie er in Harburg aufgewachsen ist. Wie er eine Lehre machte zum Importkaufmann im Kaffeehandel, weil der Großvater die älteste Harburger Rösterei gegründet hatte. "Lachmann-Kaffee - das gibt's aber nicht mehr". Später ging Kölpin zur Lufthansa. Ein altes Foto zeigt ihn als "Purser" (Kabinenchef) in schnieker Uniform. Er heiratete, bekam einen Sohn. Die Ehe wurde wieder geschieden. Kölpin ging mit der Lufthansa nach Frankfurt, stieg im Unternehmen auf, wurde Personalrat und engagierte sich für die SPD ehrenamtlich in der Politik. Er wurde sogar in den Kreistag gewählt. Später gründete er ein Anzeigenblatt, stieg wieder aus und wurde Reporter der "Offenbach-Post", bevor er als Pressesprecher der Stadt Rodgau ins Rathaus wechselte. Immer organisierte er irgendetwas, restaurierte Oldtimer, war beliebt und wurde wieder zum Personalrat gewählt. Ein bunter Hund, würde man sagen. Geheiratet hat er nie wieder.

"Einmal das reichte, das war nett, aber das war's dann auch", sagt er. Es sei auch eher so ein "Flirttyp" gewesen. "Was die 68er immer erzählen, von wegen sie seien die Aufklärer gewesen - wir haben schon mit Mädchen '58 nackt in der Elbe gebadet", sagt er und grient. Beständig war aber die Leidenschaft zu Booten und dem Segeln. Seit 25 Jahren ist der alte Mann aus dem Eis schon Vorsitzender des Rodgauer Segelvereins, dessen Mitglieder im Sommer vor allem mit Charteryachten unterwegs sind. Kölpin machte alle Segelpatente und bekam für eine harte Nordatlantiktour mit der kleinen "Benny", einer "Shark 24", 1990 einen Fahrtenseglerpreis.

Im Jahr 2000 dann wurde er in den Ruhestand verabschiedet und plante die große lange Reise. Doch dann stürzte seine Mutter schwer und musste gepflegt werden. Kölpin holte sie von Hamburg nach Hessen und kümmerte sich um die alte Frau.

2008 starb sie mit 96 Jahren und Kölpin machte die erste verrückte Tour: Eine Badewanne verstärkte er mit Kanistern und Segeln und fuhr damit raus auf die Elbmündung. Doch für die große Tour war es zu spät: Mit seinen mittlerweile 70 Jahren fand er keine Auslands-Krankenversicherung mehr, die ihn für einen Törn über etliche Monate versichert. Zu groß ist das Risiko, krank zu werden, aber keinen Arzt bezahlen zu können.

Es bleibt also bei den kleinen Abenteuern vor der Haustür. Wie eben das Überwintern auf der Süderelbe. Zwei Jahre noch, sagt Kölpin, will er so "brav" weitermachen. Und dann soll es doch noch auf die große Tour gehen, nach seinem 75. Geburtstag. "Dann ist open end", sagt er "dann ist mir das egal, ob ich versichert bin - mein Leben habe ich ja gelebt."