Reinhard Goltz, 57, ist Leiter des Instituts für niederdeutsche Sprache in Bremen.

Hamburger Abendblatt

In Süddeutschland pflegen die Menschen ihre Dialekte. Im Norden sprechen allenfalls Oma und Opa Niederdeutsch. Warum ist das so?

Reinhard Goltz:

In Süddeutschland war und ist man bodenständiger und traditionsbewusster. Das Plattdeutsche ist ziemlich unter die Räder gekommen. Zu sehr standen Faktoren wie Mobilität und sozialer Aufstieg im Vordergrund. Heute sehen wir die Vorteile des Plattdeutschen nicht in der Vergangenheit oder in Werten, sondern darin, dass gerade die kleinen Sprachen einen Beitrag zur Mehrsprachigkeit leisten.

Dialekt ist Dialekt. Platt ist nicht gleich Platt. Allein in Hamburg gibt es unterschiedliche Varianten. Wie viele regionale Ausformungen gibt es?

Goltz:

Bekanntlich wird von Dorf zu Dorf ein wenig anders gesprochen. Das ist gut so. Tonfall und Aussprache sind eine Art sprachlicher Fingerabdruck. Im Platt hat sich kein Standard entwickelt, weil der Staat keine Vorgaben gemacht hat und auch das Schreiben wenig normiert ist. Unter diesen Bedingungen haben sich die regionalen Besonderheiten erhalten, die heute die herrliche Vielfalt des Plattdeutschen ausmachen. Je nach Definition kann man mehrere Hundert plattdeutsche Sprachlandschaften ausmachen. Die prägnantesten sind Ostfriesland, Westfalen, Vorpommern.

Wenn nur so wenige Menschen des Niederdeutschen mächtig sind - wozu sollen wir überhaupt noch Platt sprechen?

Goltz:

Vielleicht brauchen wir bald weder Platt- noch Hochdeutsch - Englisch ist doch auch ganz praktisch. Das überspitzte Beispiel zeigt, dass Sprachen mehr transportieren als die reine Information. Platt steht für die kulturelle Vielfalt, die hier im Norden seit Jahrhunderten gelebt wird. Ich stelle jedenfalls fest: Immer mehr junge Menschen haben Freude daran, eine Sprache auszuprobieren, die sie vielleicht gerade noch im Ohr haben.

Was kann getan werden, damit das Niederdeutsche in Zukunft nicht komplett nicht ausstirbt?

Goltz:

Die Bildungseinrichtungen sollten sich der Aufgabe der Platt-Vermittlung stellen. Es gibt mittlerweile in Norddeutschland mehr als hundert Kitas, in denen die Kinder zweisprachig (Hoch und Platt) erzogen werden - mit Singen, Spielen und Tanzen. Natürlich tragen auch die Medien eine große Verantwortung. Denn Platt ist mehr als eine reine Familiensprache.

Wenn Niederdeutsch als Unterrichtsfach in Schulen angeboten wird, welche Platt-Form soll dann gelehrt werden?

Goltz:

Hamburg hat gerade Platt als Wahlpflichtfach eingeführt - das ist genau der richtige Weg. Nun gibt es ja nicht "das Platt", sondern viele regionale Varianten. Die haben aber viele Gemeinsamkeiten. Bei der Aussprache wird sich der Unterricht an den regionalen Vorgaben orientieren müssen. Die Kinder sollen sich in dieser Sprache vor Ort verständigen können.