Tennislehrer, Rentnerin, Vertreter - vor den Automaten sind sie gleich: süchtig nach dem kleinen Glück und unterm Strich Verlierer.

Normalerweise brummt um diese Zeit der "Vorwerk", aber Katarzyna, die als Hallenaufsicht heute die Frühschicht schiebt, hat Wichtigeres zu tun, als den Straßenschmutz aus dem abgetretenen Teppich zu bürsten. Katarzyna richtet ein Büfett an. Denn heute ist in der Automatenspielhalle von Hammer und Schöne am Sievekingdamm im Stadtteil Hamm Bescherung. Die Weihnachtsfeier soll in einer Stunde beginnen. Um acht Uhr. Morgens.

Es ist eine Feier für die Stammspieler, jene, die sich in den Wochen zuvor in die Gästeliste eingetragen haben.

Die Eingangstür geht auf. Ein kalter Windstoß lässt die roten Christbaumkugeln am Tannenbaum neben dem Zigarettenautomaten im Windfang schaukeln. "Das ist Frau Reuter", sagt Katarzyna mit einem Blick auf ihre Uhr, "sie redet nicht viel. Eigentlich redet sie nie. Und will immer nur allein spielen. Hat deshalb Sondergenehmigung vom Chef." Katarzyna spricht mit schwerem polnischen Akzent. Frau Reuter, eine unscheinbare kleine, hagere Frau im grauen Mantel, bleibt verdattert vorm Büfett stehen: "Was ist denn hier los?"

Katarzyna erklärt es ihr, während sie hauchdünne Serranoscheiben vom Aldi auf einer angeschlagenen Steingutplatte drapiert, die sie von zu Hause mitgebracht hat. "Haben Sie sich denn auch eingetragen auf die Liste?"

Die Rentnerin, um die 70, schüttelt den Kopf. "Nö, nachher bin ich gleich wieder weg." Dann steckt sie jeweils einen Zehn-Euro-Schein in ihre beiden Lieblingsautomaten und taucht ab in die bunte Traumwelt der rotierenden Walzen, deren hypnotisierende Faszination sich eigentlich nur denen erschließt, die zu häufig spielen. Den pathologischen Spielern. Den Süchtigen.

Die Weihnachtsgeschenke für die Stammspieler hat am Vorabend noch die Spätschicht im hinteren Billardzimmer ausgepackt. Sie sind auf dem Pooltisch gestapelt, der kaum noch genutzt wird. Jeder Stammgast, der sich auf der Liste eingetragen hat, bekommt in diesem Jahr ein Saunatuch, gestreift oder mit Blümchen. Dazu gibt's jeweils ein kleines Tütchen mit zehn blank polierten Zwei-Euro-Münzen und einem kleinen Schokoladenweihnachtsmann. Es ist eine nette Geste vom Chef, der gerade in Thailand Urlaub macht. Stammgäste müssen schließlich gepflegt werden, umsorgt und umhegt. Vor allem wenn sie im Laufe eines Jahres ein kleines Vermögen in die Automaten gesteckt haben.

Die Türe öffnet sich erneut. Harald ist der zweite Stammgast an diesem Morgen. Dabei ist es erst Viertel vor acht. Katarzyna blickt auf die Uhr und wundert sich. "Du bist ja früh dran. Kaffee?" Er nickt. Harald ist ein Schlaks um die 50, im olivgrünen Parka, mit hängenden Schultern und traurigem Hundeblick. Die Haare sind wirr. Er hält einen zusammengeknüllten Jutebeutel in der Hand und wirkt, als sei er schon als Kind immer bloß als Letzter in eine Mannschaft gewählt worden. Frau Reuter beachtet ihn nicht. Er fragt leise, ob er schon sein Geschenk haben dürfe. Katarzyna führt ihn ins Billardzimmer, wo er sich ein gestreiftes Saunatuch aussucht, das er achtlos in seinen Jutebeutel stopft. Dann reißt er das Plastiktütchen auf und füttert einen Automaten mit den prägefrischen Münzen. "Die Kiste hat mich gestern Nacht fertiggemacht", schimpft er. "Irgendwann muss er doch einfach mal schmeißen. Ich spür das. Ist natürlich nur so ein Gefühl."

In diesem Moment läuft bei Frau Reuter eine Serie ein. Sie spielt "Book of Ra", das zurzeit beliebteste Automatenspiel, Mindesteinsatz fünf Cent, Höchsteinsatz zwei Euro pro Spiel, Frau Reuter spielt mit zehn Cent Einsatz und könnte daher nie den Höchstgewinn von 10 000 Euro erzielen, sondern allenfalls 500 Euro. Aber auch das sei, so Katarzyna, "seltener als Regen in Wüste. Oder kannst du auch erschlagen werden vom Blitz."

Nach kurzem Zögern entscheidet sich auch Harald für "Book of Ra". Es ist eines von 30 elektronischen Spielen, die dieser Automat auf der Festplatte hat und die früher nur in den staatlichen Kasinos angeboten wurden. Jetzt aber auch in der Daddelhalle um die Ecke. Das hat für neuen Schwung in der Automatenbranche gesorgt. Doch die Zukunft gehört den neuen, großen Multiplexhallen neben den Autobahnen, auf Raststätten und in den Industriegebieten. Dort verwöhnen livrierte Angestellte die Zocker mit Kaffee in Porzellantassen, Kuchen oder heißen Snacks, gratis.

Die klassischen Hallen - die Spielhöllen - werden wohl über kurz oder lang ausgespielt haben. "Hier ist gemütlicher, hier kennen sich Leute und reden", meint Katarzyna und wirft einen letzten prüfenden Blick aufs Büfett, auf das Thüringer Mett, die Frikadellen und den Kartoffelsalat, den Seelachssalat, das frische Baguette. Der Kühlschrank ist mit Holsten-Bier und halbtrockenem Sekt der Marke Stolzenfels bestückt. Dabei ist Alkohol in Spielhallen eigentlich verboten. Nur Kaffee, Tee und alkoholfreie Getränke sind erlaubt. Und die gibt es grundsätzlich kostenlos.

Kurz nach halb neun trudelt der Rest der Bande ein. Frau Reuter ist längst gegangen. Immerhin hat sie 16 Euro plus gemacht an diesem Morgen. Mit einem Schwung ist die Spielhalle voll, Minuten später die Luft blau vom Zigarettenrauch. Wolfgang, ein massiger Kerl, stellt sich neben Harald, der seine geschenkten 20 Euro fast schon verspielt hat, obwohl er mit dem niedrigsten Einsatz zockt - fünf Cent. "Na", fragt Wolfgang jovial, "und wie läuft's?" Als Antwort erhält er von Harald einen Blick, der keiner weiteren Erklärung bedarf. "Ach, Harry", sagt Wolfgang, "du weißt doch: Auf lange Sicht verlieren wir hier immer alle!" Aber auch diese unbestrittene Erkenntnis kann Harald nicht trösten. Zwei Minuten später, als Wolfgang mit "Rentner-Klaus" bereits das erste Bierchen am Tresen zischt, wo normalerweise das Wechselgeld herüberwandert und der EC-Cash-Automat steht, damit man nicht immer zum Haspa-Geldautomaten rennen muss, ist sein Kapital vollends aufgebraucht. Harald schlurft ans Büfett, um sich ein Baguette mit Leberwurst zu schmieren.

Katarzyna blickt Harald beinahe mitfühlend an. Seit sie vor 20 Jahren, als junge schlanke Frau wegen der Liebe nach Hamburg kam, arbeitet sie als Aufsicht in Spielhallen. Erst in einer Las-Vegas-Halle auf dem Kiez, dann in einer Merkur-Spielothek in St. Georg, jetzt hier. Sie sieht es einem Gast daher schon beim Eintreten an, ob er ein richtiger Zocker ist oder bloß einer, der sich mal kurz entspannen will auf der Jagd nach dem kleinen Glück. Oder irgendwie langweilt. "Ich glaube, alle, die hier reinkommen, sind irgendwie süchtig. Ich bin ja auch süchtig - ich esse immer zu viel, wenn ich Probleme habe."

Früher schmissen die Automaten rund 60 Prozent der Einsätze raus, heute sind es 80 bis 90 Prozent. "Trotzdem sagen die meisten, dass sie früher lieber gespielt hätten", doziert Wolfgang, den sie hier alle nur "Husch" nennen oder "Professor". Husch, weil Wolfgang die ersehnten Gewinnsymbole auf den Walzen mit einem lauten "Husch" herbeiwünscht, Professor, weil er sich gern reden hört und den Eindruck erweckt, er wisse total Bescheid. "Das Problem ist", meint Wolfgang zu Harald, "dass die Gewinnhäufigkeit nachgelassen hat. Dafür aber sind die Gewinne selbst höher geworden und sie kommen auch geballter. Du musst einfach zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein."

Harald winkt ab. Er will das alles nicht hören. "Geh du mal lieber mit dem Hund raus", sagt er.

Tatsächlich führt Wolfgang den Hund seiner polnischen Frau Olga Gassi. Ein Chihuahua, auch eine Art Stammgast in der Halle. "Ich spiele nur mit meiner Frau zusammen", erzählt Wolfgang. "Sie passt auf, dass es nicht zu viel wird. Denn aufhören, das kann ich irgendwie nicht." Das Ehepaar spielt immer abends, so spät wie möglich, weil dann die Kästen voller sind. Und er glaubt, dass sie mehr ausspucken würden.

Wolfgang arbeitet im Außendienst für ein Pharmaunternehmen. Er verdient gut. "Andernfalls könnte ich mir das hier gar nicht leisten. Aber heute habe ich mir freigenommen, um mal wieder die ganzen Leute zu sehen. Olga kommt übrigens auch gleich, Katarzyna!"

Harald könnte jetzt gehen, da er pleite ist, aber er will bleiben. Denn die Spielhalle ist für ihn - und manche andere - ein zweites Wohnzimmer. Und das Essen schmeckt und kostet nichts. Zu Hause hat er niemanden, und geregelte Arbeit findet er schon seit Jahren nicht. Jetzt sorgt er dafür, dass die Stammgäste nicht hungrig bleiben, und kümmert sich um die Würstchen. So hat er wenigstens was zu tun.

Und er kann seinen Ärger und seine Enttäuschung zu verarbeiten versuchen: darüber, dass Jens, der drahtige Tennislehrer, der gerade von den Kanaren zurückgekommen ist, seinem Automaten bereits im vierten Spiel die Serie entlockt hat, auf die er, Harald, schon gestern den ganzen Abend vergeblich gewartet hat. Plus die 20 Euro Einsatz von heute morgen. "Tja", sagt Wolfgang, sein zweites Bier in der Hand, "das ist natürlich der Albtraum eines Spielers. Da spielst, bis du fertig bist, und dann kommt der Nächste und melkt ausgerechnet den Kasten, den du so lange gefüttert hast."

Um den Tresen herum lachen die Gäste. Sie erzählen von ihren besonderen Erlebnissen, auch aus anderen Spielhallen. Diese Geschichten haben alle mit dem Spielen zu tun. Wie bei Jamal, einem Halb-Inder, der Pizzen ausfährt und neulich 2200 Euro gewonnen hat - gleich im ersten Spiel. Oder wie "Rentner-Klaus" den "Goldjackpot" geknackt hat: im letzten Spiel. Es sind Geschichten, die unüberhörbar von Heldentaten erzählen - vom ewigen Kampf des Spielers gegen den unbestechlichen Computer.

Harald will wissen, wo Milly abgeblieben sei - die hübsche Roma, die im Sommer mehr als 5500 Euro gewonnen hatte und sich sofort einen Mercedes gekauft hatte, eine alte E-Klasse. "Milly ist schwanger jetzt", ruft Katarzyna dazwischen, "Milly spielt nicht mehr. Hab ich lange nicht mehr hier gesehen."

Fast scheint es einigen Stammgästen peinlich zu sein, die 20 Euro Zuschuss vom Hallenchef einzusetzen. Die meisten lassen das Plastiktütchen unauffällig in der Hosentasche verschwinden und wechseln ihre Scheine bei Katarzyna, die jedes Mal imaginär auf die Münzen spuckt, dass es Glück bringen möge.

Jens hat 416 Euro gewonnen. Er sieht dennoch nicht zufrieden aus, als er auf den Collect-Knopf drückt und sich eine Zigarette anzündet, um jetzt eine gute Viertelstunde lang zu warten, bis der Apparat den Gewinn vom Punktekonto auf Auszahlung umgebucht hat.

Jens spielt schon seit 18 Jahren, seitdem er volljährig ist. Und das habe ihm eigentlich nur Ärger eingebracht. Ärger und Schulden. "Ich habe schon oft versucht, aufzuhören", sagt er, "denn die Gewinne sind nichts gegen die Verluste, die ich bisher eingefahren habe. Trotzdem komme ich von den Dingern nicht los. Ich weiß bloß nicht, warum." Deshalb bemühe er sich auch immer wieder um Engagements in Spanien, auf den Tennisplätzen in den Ferienklubs. Denn dort gebe es nun mal keine Spielhallen so wie hier. "Vielleicht", sagt Jens verträumt, "ziehe ich deshalb mal ganz dahin."

Aufhören wollen sie im Grunde alle.