Hartmut Wegener, ehemaliger Senatsbeauftragter für die Elbphilharmonie, spricht über die Probleme beim Bau des Projekts.

Hamburger Abendblatt: Herr Wegener, warum sind die Kosten für die Elbphilharmonie, die aktuell 323,5 Millionen Euro betragen, für den Steuerzahler derartig gestiegen?

Hartmut Wegener: Der Festpreis von 241 Millionen Euro, den wir mit Hochtief notariell vereinbart haben, bedeutete bei einer Bruttogeschossfläche von 120 000 Quadratmetern einen Quadratmeterpreis von 2000 Euro. Das ist ein vertretbarer Wert, der im Vergleich mit modernen Konzerthäusern in Kopenhagen oder Oslo, Luzern oder Los Angeles im unteren Bereich liegt. Bei allen Summen, die vorher im Raum standen, handelte es sich um Schätzungen. Anfangs wurde von dem Projektentwickler Alexander Gerard sogar der Eindruck vermittelt, die Stadt könne ein weltweit einmaliges Konzerthaus durch die Mantelbebauung quasi umsonst bekommen. Das war wie ein schöner vergifteter Apfel. Diese Schieflage in der öffentlichen Wahrnehmung hatte zur Folge, dass jede Veränderung der Kosten als skandalöse Preiserhöhung wahrgenommen wurde.

Trotzdem bleiben aktuell 137 Millionen Euro Mehrkosten.

Wegener: Richtig. Man muss aber auch sehen, dass das Projekt in seinem Verlauf massiv verändert worden ist. Die Glasfassade war anfangs nur doppelschalig und es gab keinen dritten Konzertsaal. Es gab Veränderungen im Großen Konzertsaal und bei der Gebäudetechnik, im Hotel- und Wohnungsbereich sowie in der Gründung.

Sind die Kosten nicht vor allem deshalb aus dem Ruder gelaufen, weil die Schweizer Architekten Herzog & de Meuron nicht, wie ansonsten üblich, dem Generalunternehmer direkt unterstellt sind?

Wegener: Normalerweise bringt der Generalunternehmer seine eigenen Ausführungsplaner mit. Aber Herzog & de Meuron haben bei der Vertragsgestaltung mit aller Macht darauf bestanden, dass sie nicht nur für die Entwurfs-, sondern auch für die Ausführungsplanung, also Phase fünf des Bauvorhabens, verantwortlich sind.

Warum?

Wegener: Weil sie gesagt haben, dass die Elbphilharmonie ein weltweit einmaliges Projekt ist. Und dieses darf nicht in der Ausführungsphase durch einen Wechsel in der Zuständigkeit hin zum Generalunternehmer in dessen Preiskalkulation übergehen. Das hätte in ihren Augen bedeutet, dass Hochtief die Möglichkeit gehabt hätte, kostensenkend schlechtere Qualität abzuliefern.

Haben Sie überlegt, den Architekten die Ausführungsplanung wegzunehmen?

Wegener: Ja, aber nach intensiver Beratung mit der Politik und den Fachleuten haben wir uns entschieden, das nicht zu tun, zumal es so im bestehenden Architektenvertrag geregelt war, in den wir eintreten mussten.

War das ein Fehler?

Wegener: Vielleicht hätte ich in dem Punkt hart bleiben und sagen müssen, wir geben die Ausführungsplanung, so wie das üblich ist, an den Generalunternehmer. Aber sehen Sie, die Architekten haben der damaligen Senatorin Frau von Welck und mir zum Beispiel das Konzerthaus in Barcelona gezeigt. Da geht ein wunderschöner Mosaikfußboden urplötzlich in blanken Beton über - unglaublich. Dort vor Ort haben uns Herzog & de Meuron sehr anschaulich erklärt, warum sie bis in die letzte Fuge das Material beim Bau der Elbphilharmonie selbst bestimmen wollen.

Hatte die Stadt die Architekten nicht im Griff?

Wegener: Hochtief und die Architekten waren von Anfang an sehr schwierige Partner in einem sehr schwierigen Projekt. Hochtief musste ja massiv Kosten sparen und machte sofort ein aggressives Claimmanagement, weil sich beispielsweise die Preise für Stahl und Glas nach Angebotslegung gewaltig erhöht haben. Nach unserer Rechnung musste Hochtief wegen des Festpreises Preissteigerungen in Höhe von 30 Millionen Euro verkraften. Wenn man nun hart geblieben und die Ausführungsplanung in die Hände von Hochtief gelegt hätte, wäre das für den Bauablauf und die Kostenentwicklung wahrscheinlich günstiger gewesen. Ob das für das Weltprojekt qualitativ angemessen gewesen wäre? Dahinter würde ich auch heute noch ein großes Fragezeichen machen.

Haben Sie daran gedacht, den Vertrag mit den Architekten zu kündigen?

Wegener: Ja, als ich merkte, dass die Schweizer Architekten nicht loyal gegenüber dem Bauherrn gewesen sind. Da war es meine Überzeugung, sich gegebenenfalls von Herzog & de Meuron zu trennen und die Ausführungsplanung anderweitig zu vergeben.

Was meinen Sie mit "nicht loyal"?

Wegener: Dass sie den Weisungen des Bauherrn oft genug nicht nachgekommen sind. Und dadurch den Kostenrahmen gesprengt haben.

Waren den Architekten die Kosten egal?

Wegener: Die mit Hochtief vereinbarten Kosten- und Zeitpläne wollten sie nicht vorbehaltlos akzeptieren. Wenn es einen detaillierten, von den Architekten erarbeiteten Zeitplan gibt, auf den der Generalunternehmer ja am Anfang sein Angebot abgegeben hat, muss dieser eingehalten werden. Dann kann man anschließend nicht jede Woche mit irgendwelchen Vorbehalten kommen.

Was war der Grund für die vielen Vorbehalte der Architekten?

Wegener: Die hatten große Sorge, dass sie die Ausführungsplanungstermine nicht halten können. Dass sie mit ihrer verzögerten Ausführungsplanung verantwortlich gemacht worden wären für einen schleppenden Baufortschritt. So haben sie sich durch die vielen Vorbehalte Entlastung verschafft. Bei den Architekten ergaben sich erhebliche Schwierigkeiten bei der Umsetzung der Entwurfs- in die Ausführungsplanung.

Also sozusagen beim Übergang vom Wunderbaren ins Machbare?

Wegener: Ja. Der von Herzog & de Meuron gewählte Ansatz, anstelle von erfahrenen Ausführungsplanern die jungen, kreativen Entwurfsplaner zu Ausführungsplanern weiterzubilden, brachte sehr große Probleme.

Der Generalplaner hat das Personal immerhin von 30 auf 75 Architekten erhöht.

Wegener: Das löste aber die Probleme nicht, sondern potenzierte sie.

Gab es einen exakten Moment, wo Sie an den Architekten gezweifelt haben?

Wegener: Nachdem auch die Bürgerschaft dem Vertrag und dem Festpreis zugestimmt hatte, gab es eine Bauherren-Besprechung mit den Architekten, auf der ich mit großer Freude verkündet habe, dass das Parlament die beantragten Mittel bewilligt hat. Da hat der leitende Architekt von Herzog & de Meuron zu mir gesagt: "Und wo sind die 50 Millionen Euro, die wir jetzt noch für unsere Änderungen brauchen?"

Vielleicht sind die das aus anderen Ländern so gewohnt.

Wegener: Ja, aus China vielleicht. Herzog & de Meuron hatten gar keine Vorstellung, dass ich für jede getätigte Ausgabe Rechenschaft ablegen musste. Jede einzelne Forderung musste bei mir prüfbar belegt sein.

War das nach Ihrem Abgang anders?

Wegener: Danach sind Nachtragsforderungen von Hochtief entgegenkommender beglichen worden. Mir wurde ja vorgeworfen, ich hätte zu hart verhandelt und hätte damit zu einer Verkantung beigetragen. Ich empfinde diesen Vorwurf nicht als ehrenrührig, im Gegenteil: Wenn es um öffentliche Mittel geht, muss man beim Bauen mit harten Bandagen kämpfen, anderenfalls wird man gnadenlos ausgenutzt. Nur zwei Monate, nachdem ich im September 2008 auf Bitten des Bürgermeisters Ole von Beust mein Amt niedergelegt habe, hat es eine Hochtief-Forderung in Höhe von 270 Millionen Euro gegeben - und damit die Steigerung des ursprünglichen vertraglichen Festpreises um mehr als das Doppelte. Mit mir hätte Hochtief eine derartige Mondpreisforderung nicht verhandeln können. Aber der völlig überforderte Kulturstaatsrat Reinhard Stuth und Frau von Welck wollten Frieden und eine Einigung um fast jeden Preis.

Die Krux bei öffentlichen Bauvorhaben ist, dass die politisch Verantwortlichen oft nervös und nicht krisenfest handeln, wenn großer medialer oder politischer Druck entsteht. Sie verstehen wenig vom Bau, mischen sich aber ein und verschlechtern massiv die eigenen Verhandlungspositionen. Und nachher wissen sie von nichts.

Wird das Projekt noch teurer?

Wegener: Ich vermute, dass das weitergeht. Weil es bis heute immer noch Nachträge gibt und Hochtief eben bisher keine Generalquittung unterzeichnet hat, wie ich es bei den ersten Nachtragsverhandlungen gefordert habe. Dann wären keine Nachträge mehr möglich gewesen. Aber so bleibt jetzt für die Stadt immer noch ein Restrisiko.

Dafür sind 20 Millionen Euro eingeplant?

Wegener: Die 20 Millionen Euro sind für Unvorhergesehenes und dürften kaum ausreichen.

Warum kam es am Ende doch nicht zur Kündigung von Herzog & de Meuron?

Wegener: Die Politik war dazu nicht bereit. Man wollte den Eklat vermeiden.

Welche Fehler haben Sie gemacht?

Wegener: Ich habe zu spät erkannt, dass dieser Architekt auf den Bauherrn, der ihn finanziert, letztendlich pfeift.

Ein Beispiel?

Wegener: Nehmen Sie nur als kleines Beispiel die Gestaltung des Vorplatzes der Elbphilharmonie. Ich habe dafür gesorgt, dass die Schweizer in Erweiterung ihres Auftrages das planen durften. Als es zwischen uns zu Unstimmigkeiten um die Art der Pflasterung kam, hat Jacques Herzog sinngemäß gesagt, Hamburg sei nur ein kleiner Bauherr, sie aber seien Weltarchitekten. Ich habe die Architekten zu lange geschont. Weil ich aufgrund meiner über 30-jährigen Bau-Erfahrung der Meinung war, der Architekt ist die rechte Hand des Bauherrn. Und zu spät realisiert habe, dass die sich als dritte, unabhängige Partei gesehen haben.

Was war das Problem mit Hochtief?

Wegener: Die wollten weg von dem Pauschal-Festpreis. Und hin zu einem Abrechnungsvertrag, dem sogenannten "Cost and Fee"-Vertrag. Das konnten wir nicht zulassen, weil wir dann das künftige Baurisiko allein getragen hätten. Außerdem hatte Hochtief kein Interesse an einem schnellen Bau. Sie haben am Anfang nur einschichtig gebaut - und das mit rumänischen Subunternehmern, da hat Hochtief Geld gespart. Hochtief verdient am Verzug.

Wenn der Bauunternehmer bis zu einem bestimmten Datum nicht in einem bestimmten Obergeschoss angekommen ist, hat er ein Problem.

Wegener: Wenn der Verzug aber durch den Bauherrn oder seinen Architekten verursacht wurde, hat er einen Schadensersatzanspruch. Die Probleme liegen daran, dass alle Beteiligten die Sorge des Scheiterns umtreibt. Weil dieses Projekt mit seinen unterschiedlichen privaten und öffentlichen Nutzern extrem komplex und als Bau technisch höchst schwierig ist. Es enthält viele technische Weltneuheiten und ist nicht statisch. Ein Weltprojekt, dessen Strahlkraft der Musikstadt Hamburg und der ganzen Metropolregion zugutekommen möge. Ich wünsche jedenfalls meinen Nachfolgern und allen Beteiligten viel Glück und Erfolg.