Im friedlichen Schweden kommt kurz vor Weihnachten 2010 islamistischer Terror an - ein Schock. Der Plan des Attentäters ging nicht auf.

Stockholm. Stockholm Innenstadt, am Nachmittag des vorletzten Sonnabend vor Weihnachten. Heerscharen von Menschen im Kaufrausch strömen über die Haupteinkaufsstraßen. Eine davon ist Drottninggatan, zu Deutsch Königinnenstraße. Am Tag zuvor waren im Konzerthaus in der Nähe die Nobelpreise übergeben worden. Die Wirtschaftskrise verlief in dem nordischen Land recht glimpflich, auch ein Grund, warum die Straßen und Geschäfte entsprechend voll sind.

Von Terrorangst ist nichts zu spüren. Doch um 16.49 Uhr geht ganz nah am Trubel ein Audi 80 Avant in Flammen auf und explodiert, zwei Passanten werden leicht verletzt. Ein paar Minuten später, gegen 17 Uhr, dann eine weitere Explosion. Rund 300 Meter südlich vom Autobrand hat der zweite laute Knall seinen Ursprung, in der Bryggargatan, die von der Drottninggatan abgeht. Diesmal ist gleich klar: Zufall, wie es bei einem Autobrand sein kann, ist hier nicht im Spiel. Denn diesmal ist es ein Mann, der sich selber in die Luft sprengt. Ein Selbstmordattentat, mitten in der schwedischen Hauptstadt.

Nach der Explosion liegt der Attentäter auf dem verschneiten Boden, er ist tot. Aller Wahrscheinlichkeit nach hatte er so viele Menschen wie möglich mit sich reißen wollen. Glücklicherweise gelang ihm dies nicht. Vermutlich war es auch Zufall, dass die Explosion stattfand, bevor er auf der Drottninggatan oder der nahen U-Bahnstation angekommen war. Gescheitert war er auch daran, den gesamten Sprenggürtel zu entzünden, nur eine der Bomben ging in die Luft. Nägel im Rucksack des Attentäters hätten die Wirkung der Sprengladungen zudem noch verstärken sollen, doch auch dieser Plan ging nicht auf. Wie vor einigen Jahren bei den sogenannten Kofferbombern in Köln verhinderte wohl das technische Unwissen der Attentäter das Schlimmste.

Das Land ist geschockt. Ausgerechnet im friedlichen, sozialdemokratisch geprägten Schweden kommt kurz vor Weihnachten 2010 islamistischer Terror an. Denn es wird davon ausgegangen, dass die Attacken politisch-religiös motiviert waren. "Es ist extrem beunruhigend, dass der Terror sich nun wahllos gegen zivile Menschen in Schweden richtet. Das ist ein Trendbruch", sagt Terrorexperte Magnus Ranstorp von der Militärhochschule in Stockholm. Kurz vor den Explosionen war eine E-Mail bei der Sicherheitspolizei Säpo und der Nachrichtenagentur TT eingegangen, in der zum Terror in Schweden und Europa aufgerufen wurde. Noch ist nicht bestätigt, inwiefern die drei Ereignisse zusammenhängen. Ministerpräsident Fredrik Reinfeldt warnte vor vorschnellen Schlussfolgerungen und davor, die Freiheitsrechte in der offenen Gesellschaft zu sehr einzuschränken.

Zwar hatte es auch in Schweden immer mal wieder geheißen, das Land sei nicht sicher vor Terrorattacken. Eher werde wohl Dänemark getroffen, dachten viele. Schließlich stammten die sogenannten Mohammed-Karikaturen aus dem Nachbarland; und Dänemark ist auch das Land, wo selbst gemäßigte Politiker Ausländer vor allem als Problem ansehen. In Schweden hingegen setzt die liberal-konservative Regierung unter Ministerpräsident Reinfeldt auf eine beschwichtigende Rhetorik und ist um Verständigung bemüht. Es gebe Probleme bei der Integration von Ausländern, diese Schwierigkeiten lastet Reinfeldt aber vor allem der Gesellschaft an, weniger den Einwanderern. "Menschen aus anderen Ländern haben es schwer, in den Arbeitsmarkt zu kommen, die Sprache zu lernen. Manchen mangelt es an Ausbildung, andere haben eine gute Ausbildung, Diskriminierung erschwert ihnen aber den Einstieg in den Arbeitsmarkt", sagte Reinfeldt vor Kurzem. Anders als seine Kollegen in anderen europäischen Ländern ist er zögerlich, die Anforderungen an die Einwanderer drastisch zu erhöhen.

Doch in Schweden hat es in den vergangenen Jahren vermehrt Probleme mit Einwanderern und Menschen mit Migrationshintergrund gegeben. Besonders zeigte sich das im Stadtteil Rosengård, in der südschwedischen Stadt Malmö. In Rosengård ist der Anteil von Einwanderern besonders hoch. Dort wurden Autos in Brand gesetzt und Lösch- und Polizeifahrzeuge mit Steinen attackiert. Malmö ist auch jene Stadt, in der in diesem Jahr ein Rechtsextremist Jagd auf Menschen mit Migrationshintergrund machte. Systematisch schoss er aus dem Hinterhalt auf sie, beim Warten auf den Bus oder durch die Fenster ihrer Wohnungen. Ein Mensch kam dabei ums Leben, bevor der Attentäter vor einigen Wochen gefasst werden konnte.

Bei der Parlamentswahl im September ist mit den Sverigedemokraterna (Schwedendemokraten) zum zweiten Mal eine rechtspopulistische Partei in den Reichstag eingezogen. Die Partei erhielt 5,7 Prozent. Deshalb haben weder der linke noch der bürgerliche Block eine absolute Mehrheit, und Reinfeldt führt eine Minderheitsregierung, die sich aber nicht von den Rechten abhängig machen möchte, sondern mehr auf die Grünen als Unterstützer setzt. Die Schwedendemokraten sind besonders im Süden des Landes stark.

Bei dem Besitzer des explodierten Autos soll es sich der schwedischen Zeitung "Expressen" zufolge um einen 28-jährigen Iraker handeln, der in Schweden in einem kleineren Ort gelebt hat. Auf seiner Internetseite des sozialen Netzwerks Facebook habe der Mann extremistische Propaganda verbreitet. Er soll 1992 als Kind aus dem Irak nach Schweden gekommen sein und in England studiert haben. Um sich im "Heiligen Krieg" ausbilden zu lassen, sei er in den Mittleren Osten gefahren. Seinen Verwandten gegenüber habe er angegeben, dort Geld verdienen zu wollen. Demnach ist die Attacke vom Sonnabend sogenannter "home grown terrorism", also von einem im Lande Wohnenden ausgeführt worden. Als besonders gefährlich gelten diese Attentäter, weil sie zumindest ansatzweise in die Gesellschaft integriert sind, die sie bekämpfen wollen, und sich aufgrund ihrer Staatsbürgerschaft relativ frei bewegen können. Angeblich soll es in Schweden 200 terrorbereite Menschen geben, der Großteil von ihnen sei untereinander vernetzt. Terrorexperte Ranstorp geht davon aus, dass der Täter vom Sonnabend Komplizen gehabt habe. Einen solchen Anschlag führe man nicht komplett alleine aus.

Hassan Moussa, Imam in der größten Moschee Stockholms, hat in einer Presseerklärung das Attentat verurteilt. Schwedens Sicherheit und Stabilität seien eine religiöse und soziale Verpflichtung, so Moussa, der sich in der Mail von jeglichen Angriffen und Drohungen gegen unschuldige Menschen distanzierte. Der Anschlag nutze nur Extremisten auf beiden Seiten, schade aber dem Islam und den Muslimen.

In der kurz vor den zwei Bombenexplosionen bei der Nachrichtenagentur TT und der schwedischen Sicherheitspolizei eingegangen E-Mail, wurden in Schweden lebende Muslime zu Attentaten in ihrer Heimat aufgefordert. "An Schweden und das schwedische Volk" war die Mail überschrieben. "Nun sollen eure Kinder, Töchter und Schwestern sterben wie unsere Brüder und Schwestern und Kinder sterben", heißt es in dem Text, der nicht nur die schwedische Präsenz in Afghanistan als Grund für Angriffe angibt, sondern auch "das Schweigen des schwedischen Volkes zu den Gemälden von Lars Vilks".

Der schwedische Künstler Vilks hatte im Jahr 2007 den islamischen Propheten als sogenannten "Rondellhund" gezeichnet, das ist eine Skulptur in Form eines Hundes, die in der Mitte eines Kreisverkehrs steht. Von vielen Muslimen war das als Erniedrigung empfunden worden, die geforderte Entschuldigung von Vilks, der seither mehrfach tätlich angegriffen worden ist, blieb aus. Auf seinem Internetblog wurde Vilks in einigen Beiträgen für die Explosionen in Stockholm verantwortlich gemacht. "Zufrieden Vilks? Oder hast du gehofft, dass rund 40 Menschen ernsthaft mit Nägeln verletzt werden?", schreibt beispielsweise Nutzer Henke.

Auch Kurt Westergaard, der Zeichner der berühmtesten im Jahr 2005 in einer dänischen Zeitung veröffentlichten Mohammed-Karikaturen, war die Schuld für die Ausschreitungen nach der Veröffentlichung seiner Zeichnungen gegeben worden. Vilks weist derartige Vorwürfe zurück. Die Logik derjenigen, die ihn beschuldigten sei, dass man den Terroristen nachgeben müsse, um das Leiden Unschuldiger zu verhindern. "Was vorgeschlagen wird, ist eine Ausnahme in der Demokratie, das Land soll teilweise von der volksgewählten Regierung gesteuert werden und teilweise von Terroristen", so der Künstler.

Auch Ministerpräsident Reinfeldt will keine Macht an Terroristen abgeben. "Schweden ist eine offene Gesellschaft, in der Menschen einen unterschiedlichen Hintergrund haben können sollen", sagte er am Sonntagmittag. Dort könnten die Leute an unterschiedliche Götter glauben oder an gar keinen. Eine gut funktionierende Demokratie ermögliche, dass Frustrationen ohne Gewalt geäußert werden können. "Diese offene Gesellschaft ist es wert, verteidigt zu werden", schloss Reinfeldt. In den kommenden Tagen wird er deutlich machen müssen, wie er diese offene Gesellschaft verteidigen möchte.