Die Liberalen haben niemanden, der das Zeug zum neuen Vorsitzenden hätte. Der Partei fehlen außerdem die Themen und Projekte für eine junge Wählerschaft

Wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen. Dass dieses Sprichwort auch umgekehrt funktioniert, hat FDP-Chef Guido Westerwelle in der WikiLeaks-Affäre bewiesen. Seine Charakterisierung als "eitel", "aggressiv" und "inkompetent" in US-Regierungsdokumenten machten den deutschen Außenminister mal wieder zur Zielscheibe von Spott und Häme. In seinem Bemühen, darüber souverän und staatsmännisch hinwegzugehen, richtete er dann erst richtig Schaden für sich und die FDP an. Er unterschätzte die Brisanz der "Maulwurf"-Rolle seines Büroleiters Metzner, das Krisenmanagement in der Parteizentrale geriet zur Blamage.

Ein weiterer Anlass für politische Gegner und "Parteifreunde", für Experten und Medien, das Ende der politischen Karriere Westerwelles vorherzusagen. Die Dramaturgie des Sturzes hat schon feste Termine: 6. Januar, 27. März, 13. Mai. Anfang des Jahres muss sich Westerwelle auf dem Dreikönigstreffen der FDP in Baden-Württemberg präsentieren und rechtfertigen, dort finden knapp drei Monate später Landtagswahlen statt. Fallen diese für die FDP so schlecht aus wie erwartet, müsse der Vorsitzende sieben Wochen später beim Bundesparteitag in Rostock freiwillig zurücktreten oder abgewählt werden.

Es ist ja auch wahr: Es waren nicht zuletzt Westerwelles politische Fehler wie das viel zu lange Beharren auf Steuersenkungen, sein bisweilen schrilles Auftreten, seine anmaßenden Sprüche von "geistig-politische Wende" bis "spätrömische Dekadenz", die die FDP um Respekt und Sympathie bei den Wählern gebracht haben. 14,6 Prozent der Stimmen hatte sie bei der Bundestagswahl 2009 gewonnen, nun steckt sie schon seit Monaten bei Umfragewerten um die fünf Prozent fest.

Die FDP, ganz von ihrem Vorsitzenden geprägt und beherrscht, ist mit Westerwelle in einer schlimmen Lage. Allerdings: Noch schlimmer würde es für sie ohne Westerwelle. Denn es ist niemand in Sicht, der das Zeug zu einem neuen überzeugenden Vorsitzenden hat. Außerdem ist die Personalfrage nur das zweitgrößte Problem der FDP. Das größere ist der Mangel an Themen, Projekten, Zielen. Kurzum: an Gründen, diese Partei zu wählen.

Die Situation der FDP erinnere ihn an die "Spätphase der DDR", ätzt Parteikrawallo Wolfgang Kubicki. Vergangene Woche hatte Heiner Geißler erst von der FDP als einer Partei gesprochen, "die es im Grunde schon gar nicht mehr richtig gibt". Zumindest gibt es die politische Welt nicht mehr, in der sich die FDP offenbar bequem eingerichtet zu haben glaubte. Zwei Beispiele dazu aus der Regierungsbildung im Oktober 2009: Die FDP suchte sich für Westerwelle das Außenministerium aus und muss feststellen, dass die große Außenpolitik heutzutage weltweit von den Regierungs- und Staatschefs gemacht wird. In Deutschland von Kanzlerin Merkel, und allenfalls noch - beim zentralen außenpolitischen Thema, der Euro-Rettung - vom Finanzminister.

Zweites Beispiel: Die FDP beanspruchte für sich wie gewohnt das Justizministerium. Vermutlich in der Erwartung, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger werde im Dauerclinch mit dem CDU-Innenminister leicht liberales Profil entwickeln können. Nur leider: Thomas de Maizière schreibt in seine Sicherheitspolitik die liberale Handschrift selbst mit hinein. Er kümmert sich auch um das heißeste politische Zukunftsthema: das Internet mit all seinen Chancen und Gefahren. Was er übrig lässt, greift sich Verbraucherschutzministerin Ilse Aigner von der CSU. Die FDP steht staunend daneben.

Ihr bleibt als Vorzeige-Minister ausgerechnet Rainer Brüderle, zweifellos ein Politprofi, der etwas von Wirtschaft versteht. Dem aber jede intellektuelle Tiefe abgeht und dessen persönliches Ziel es immer noch zu sein scheint, seinen biederen Handwerkerspruch "Erst grübeln, dann dübeln" möglichst oft in der Tagesschau unterzubringen. In diesem provinziellen Auftreten steckt vermutlich Kalkül. Brüderle gilt als wahrscheinlicher Übergangs-Vorsitzender nach einem Abgang oder Sturz Westerwelles, er bringt sich bei den FDP-Stammwählern vom Apotheker bis zum Kleinunternehmer in Stellung.

Diese Stammwähler hat die Partei aber ohnehin sicher, das sind ihre vier bis fünf Prozent aus den aktuellen Umfragen. Um wieder zusätzliche Wähler zu gewinnen, braucht sie neue, junge Themen. Westerwelle muss seine Rest-Autorität dazu nutzen, eine Diskussion darüber anzustoßen. Das werden quälende Jahre ohne sichere Erfolgsaussicht. Die FDP da hindurchzuführen ist die gerechte Strafe für den Parteichef.