Jean-Claude Trichet balanciert auf einem schmalen Grat. Auf der einen Seite wird von dem Präsidenten der Europäischen Zentralbank (EZB) erwartet, dass er, ganz in der Tradition der Bundesbank, unabhängig von politischer Einflussnahme alles dafür tut, jegliche Inflationsgefahren schon im Ansatz zu bekämpfen.

Andererseits muss sich Trichet aus anderen Euro-Ländern - und das beginnt schon in seiner Heimat Frankreich - mehr oder weniger unverhohlen vorhalten lassen, eine Notenbank habe auch den Interessen der Wirtschaft zu dienen. Diese beiden Ziele können sich durchaus widersprechen.

Seit dem Beginn der Finanzkrise und erst recht im Zuge der Schuldenkrise hat sich dieser Konflikt noch verschärft: Die politischen Interessen werden mittlerweile offen formuliert, der Widerspruch des von Regierungen geforderten Kurses zum ursprünglichen Zweck der EZB ist ebenso offensichtlich. Nach Meinung vieler Beobachter hat Trichet spätestens mit dem Beschluss, Staatsanleihen der Euro-Schuldensünder anzukaufen, die Unabhängigkeit der Notenbank aufgegeben. Doch hätte die EZB tatenlos zusehen sollen, wie entfesselte - oder in Panik geratene - Finanzinvestoren den Euro ins Wanken bringen?

Es mag ja sein, dass Trichet mit seinem Kurs spätere Inflationsrisiken in Kauf nimmt. Doch zunächst kommt es darauf an, die Gemeinschaftswährung über die nächsten zwei, drei Jahre zu retten. Und gemessen an dieser Herausforderung hat Trichet seinen Balanceakt bisher sehr gut bewältigt.