Der psychisch kranke Mann steht wegen Totschlags vor Gericht. Während die Mutter weint, grinst er dreist. Der Opferanwalt kritisiert die Justiz.

Neustadt. Er hatte am Harburger Lessing-Gymnasium sein Abitur gemacht, Notenschnitt: 2,5. Nach dem Zivildienst wollte der 22-Jährige dann eine Lehre als IT-Elektroniker beginnen. Pascal E. hatte noch alles vor sich.

Mathias A., nur sechs Jahre älter, blickt hingegen schon mit seinen 28 Jahren auf ein verkorkstes Leben zurück. Der Türke, der aus einer christlich aramäischen Familie stammt, hatte die Schule nach der siebten Klasse verlassen, hatte über Jahre harte Drogen konsumiert und ist vorbestraft, unter anderem wegen vorsätzlicher Körperverletzung. Wieder und wieder hatte ihm die Harburger Polizei die Messer abgenommen, zuletzt am 22. Juni - dem Tag vor der letzten Tat.

Am 23. Juni kreuzten sich die Wege von Pascal E. und Mathias A. Der 22-Jährige ist gegen Mitternacht mit vier Freunden und seiner Freundin Julia K. auf dem Heimweg von der Ackerfete, der traditionellen Abi-Party des Immanuel-Kant-Gymnasisums. Auf der Bremer Straße taucht vor ihnen urplötzlich ein mit einem Palästinensertuch vermummter Mann auf - Mathias A. Er hat sich in einer nahen Kneipe einen Rausch angetrunken, belästigt die junge Frau mit den Worten: "Darf ich dich nach Hause begleiten?" Pascal E. wird wütend, schlägt dem Störenfried einmal mit der Faust ins Gesicht. Die beiden rangeln, plötzlich zieht Mathias A. ein Küchenmesser mit 14-Zentimeter-Klinge, stößt sechsmal wuchtig zu. Zwei Stiche treffen sein Herz, Pascal E. stirbt wenig später im Krankenhaus.

Die Betroffenheit war groß: Eine Woche nach der Tat hielten Freunde und Angehörige eine Trauerfeier ab, legten Blumen nieder und blockierten für 20 Minuten die Bremer Straße. Sie sind auch gestern zur Stelle, als vor dem Landgericht der Totschlagsprozess gegen den mutmaßlichen Täter beginnt. Mit verquollenen Augen sitzt er im grauen Kapuzenpullover auf der Anklagebank, ihm gegenüber die Mutter des Opfers, die Nebenklägerin. Während sie mit den Tränen kämpft, grinst Mathias A. in die Runde und verhöhnt so die Frau - ein kaum zu ertragender Anblick. Das seltsame Verhalten mag ein Indiz für seine krankhafte seelische Störung sein. Dass er seinen Pullover ständig über Mund und Nase zieht, um seinen Mundgeruch und seine schlechten Zähne zu verbergen, ein weiteres. Die Staatsanwaltschaft strebt keine Strafhaft, sondern eine Unterbringung in der Psychiatrie an. Grund: Der 28-Jährige leide unter einer "paranoiden Schizophrenie", habe die Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit begangen.

Für Nebenklagevertreter Andy-M. Kokoc ist die Bluttat das Produkt einer ganzen Reihe von Versäumnissen der Justiz. Schon im Juli 2009 hatte Mathias A. einen 19-Jährigen niedergestochen - auch damals ging es um eine Frau, die er belästigt hatte. Trotzdem kam er nicht in Untersuchungshaft, und der Prozess startete erst fast ein Jahr darauf. "Vielleicht würde Pascal noch leben, wäre Mathias A. nach der ersten Tat einstweilig untergebracht worden", sagt Anwalt Kokoc.

Mathias A. schweigt zum Prozessauftakt, bedauert jedoch laut seiner Verteidigerin die Tat. Er habe sich an jenem Abend "nur einen Schabernack" mit der Freundin von Pascal E. erlauben wollen, zumal er ohnehin "chancenlos bei Frauen" sei. Dem Haftrichter präsentierte er sich kurz nach der Tat als "notgedrungenes Opfer". Noch bevor er in jener Nacht etwas sagen konnte, hätten "alle sechs" auf ihn eingeprügelt, in "letzter Sekunde" habe er dann sein Messer zücken können - das klingt, als wolle Mathias A. auf Notwehr hinaus.

Pascals Freunde sehen das ganz anders. "Er wirkte angriffslustig", sagt Marcel K., 23. Mathias A. sei der Freundin von Pascal hinterhergeschlichen, habe nicht von ihr abgelassen. Bei dem Versuch, die beiden zu trennen, hatte Marcel K. selbst einen Stich in den Oberbauch abbekommen.

Ob Mathias A. auch Familienangehörige mit dem Messer verletzt hat, wird wohl offenbleiben: Sie wollen von ihrem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch machen und vor Gericht schweigen. Der Prozess wird fortgesetzt.