Eine Glosse von Daniel Herder

Es war ein Ort des Friedens: die Kantine in der dritten Etage des Strafjustizgebäudes. Während Betrüger ein Stockwerk darunter kurz vor dem Urteil der Angstschweiß aus jeder kriminellen Pore strömte, duftete es in der Schnellküche nach hausgemachten Frikadellen, Hühnerfrikassee an Kartoffelpüree mit Brechbohnen, nach Instantsuppe und sämigen Soßen. Über all dem lag ein Hauch von Geschirrspülmittel.

So hätte es bleiben dürfen, doch der Betreiber hatte sich vor Monaten aus dem Staub gemacht. Es hieß, um der Ordnungshaft zu entgehen. Seitdem ist die Kantine, hoch über den Sälen, verwaist und das Landgericht ohne Tagesgericht. Das sei nun nicht der Weltuntergang, ein Nachfolger würde kommen, hieß es. Doch die Küche blieb kalt.

Seit auch die Richter zum nächtlichen Bereitschaftsdienst herangezogen werden, ist mit ihnen nicht gut Kirschen essen. Und weil leerer Magen nicht gern richtet, taten sich die Juristen vor wenigen Tagen zusammen, um ein muffiges Büro im ersten Stockwerk zu stürmen und daraus eine "Interimskantine" zu machen. Die dortigen Sachbearbeiter rochen den Braten und verrammelten die Tür. Sie hatten trotzdem keine Chance. Seitdem verteilen diese richterlich Zwangsverpflichteten mit traurigem Gesicht Erbsensuppe, in einem Raum, kaum größer als eine Gefängniszelle, davor Holzpalisaden, hinter denen die Justizangestellten speisen dürfen. Die Richter raunen ihnen zur Aufmunterung gelegentlich zu, im Januar werde eine neue Kantine eröffnen. Dann herrscht endlich wieder Frieden im Landgericht.