Die Berichte machen ihn stolz auf seinen Beruf, sagt der ehemalige Diplomat und Botschafter der USA in Deutschland, trotz möglicher Gefahren durch die Veröffentlichung

Als jemand, der mehr als sein halbes Leben im diplomatischen Dienst verbracht hat, muss ich besorgt sein über die Veröffentlichung so vieler vertraulicher Depeschen aus dem amerikanischen Außenministerium und seinen Botschaften.

Ob man dies nun schätzt oder nicht, werden die Vereinigten Staaten weiterhin der Leim sein, der die Welt zusammenhält. Amerikanische Diplomaten spielen eine bedeutende Rolle bei den Bemühungen ihres Landes, globale Stabilität aufrechtzuerhalten; und der Vertrauensbruch, den die Veröffentlichungen darstellen, schwächt die Fähigkeit der USA und ihrer Verbündeten, diese wichtige Aufgabe zu erfüllen.

In einigen Ländern könnten die Enthüllungen sogar das Leben und die Karriere engagierter Personen gefährden. An anderen Orten, wie dem Nahen Osten, könnte dies zur Störung oder gar dem Abbruch sensibler Verhandlungen führen. Diejenigen bei WikiLeaks, die sich das Recht genommen haben, die Dokumente zu veröffentlichen, werden sich zu rechtfertigen haben, wenn über die vollen Auswirkungen ihres Handelns erst Klarheit herrscht.

Doch trotz meiner Besorgnis muss ich sagen, dass vieles von dem, was nun öffentlich geworden ist, es wert ist, gelesen zu werden. Ich möchte so viele Menschen wie möglich ermutigen, dies genau zu prüfen. Die Berichte machen mich auch stolz auf meinen Beruf. Sie geben einen Einblick in die Hingabe einer Gruppe fähigster Leute, die oft unter gefährlichen Bedingungen leben und sich ihrer Aufgabe widmen, ohne große Boni zu erwerben. Die Verfasser der Berichte sind keine Minister, Politiker oder politische Amtsträger. Sie sind professionelle Diplomaten, die sorgfältig ausgewählt und ausgebildet werden.

Auch in diesem digitalen Zeitalter sind menschliche Kontakte, intelligente, ausgewogene Analysen und Verhandlungen wichtiger als 140 Zeichen lange SMS-Nachrichten auf dem Handy. Die Wiki-Depeschen beschreiben in verblüffenden Einzelheiten den Wert geschickter Diplomatie und unterstreichen, warum sie das wichtigste Instrument für den Frieden bleibt.

Keine Nation der Welt hat von der Diplomatie derart profitiert wie Deutschland. 40 Jahre des Kalten Krieges wurden durch behutsame Zusammenarbeit zwischen den westlichen Verbündeten und letztlich auch der Sowjetunion beendet. Falls Berichte darüber vorher veröffentlicht worden wären, hätten wir keinen Erfolg gehabt.

Darum ist es sehr unglücklich, dass die ersten Berichte, die in Deutschland über WikiLeaks veröffentlicht wurden, als sensationelle Enthüllungen behandelt wurden. Statt die Dokumente sorgfältig zu analysieren, wurden die deutschen Leser mit Behauptungen über angebliche amerikanische Anstrengungen zur Infiltration der deutschen Politik sowie Beleidigungen seiner politischen Führer eingeführt. Diplomatie wurde meist negativ dargestellt.

Andere Zeitungen, auch diese hier, erweiterten die Berichterstattung um einen vernünftigen Kontext. Aber der negative Ansatz der ersten Veröffentlichung hat die öffentliche Haltung in Deutschland massiv beeinflusst.

Dieser Eindruck wurde just verbreitet, als die Nationen der Europäischen Union Tag und Nacht verhandelten, um die fortwährende Stärke des Euro zu gewährleisten. Deutschland arbeitet hart daran, neue Beziehungen quer durch Eurasien mit Russland und China und darüber hinaus aufzubauen. Kritische Fragen des Welthandels, des Klimawandels und der militärischen Sicherheit müssen rund um den Erdball sorgfältig koordiniert werden. Glaubt irgendwer, dass diese Ziele leichter erreichbar sind, wenn es für Diplomaten unmöglich wird, offen und vertraulich über Menschen und Vorgänge zu reden und zu schreiben, die von größter Wichtigkeit für ihren Erfolg sind?

Wer sich über den ersten Eindruck hinaus informiert, lernt viel über die Welt - und wird unterhalten. Man wird an Gesprächen mit bedeutenden Staatsmännern teilhaben, teilnehmen an der Hochzeit eines Oligarchen im Kaukasus und einen britischen Prinzen auf einer Tour durch Indien begleiten.

Wichtige Fragen über den Iran, Korea und den Nahen Osten werden in den Blickpunkt rücken.

Mit anderen Worten die Welt wird sich ihnen aus einer Perspektive erschließen, die sich sonst nicht mal den einflussreichsten Lesern bietet. Ich hoffe, sie werden zugleich besser verstehen, wie Diplomaten uns jeden Tag helfen, damit die verwirrenden Vorgänge in einer globalisierten Welt für uns einen Sinn ergeben.

Übersetzung: Thomas Frankenfeld