Die SPD muss ihr Thema wiederfinden, um die Krise zu besiegen.

Für alle, die es nicht mitbekommen haben: Sigmar Gabriel ist jetzt seit einem Jahr SPD-Chef. Für alle anderen noch mal kurz zur Erinnerung: Die SPD, das ist unter allen deutschen Parteien diejenige mit der längsten, schillerndsten und für viele auch segensreichsten Geschichte. Heute ist die SPD eine Partei, deren Vorsitzender mal durch Berlin-Neukölln tingelt, um zu kapieren, was Sarrazin meinte (vorgestern), und der mal interne Kritik an der Parteistrategie im Allgemeinen und seinem Führungsstil im Besonderen als Beginn einer "Debatte" begrüßt (gestern). Haben Sie nicht mitbekommen? Interessiert Sie auch nicht die Bohne? Da haben Sie mit der Mehrheit im Land etwas gemein.

Wahrlich, Sigmar Gabriel ist um seinen Job nicht zu beneiden, sein verzweifeltes Bemühen um eine Wende in der Wählergunst trägt bemitleidenswerte Züge, wahlweise wirkt er wie ein tapferer Don Quichotte oder ein Bar-Pianist, dessen Nummern keiner mehr hören mag. Wie diese Woche im Bundestag. Angela Merkel teilte kräftig aus - gegen Künast und Trittin. Die SPD fand nicht statt. Demütigender kann ein Attest des politischen Gegners zum Jubiläum kaum sein.

Dabei macht Gabriel durchaus keinen schlechten Job. Er hat die Partei befriedet, eine neue Diskurskultur etabliert, mit Gauck einen Coup gelandet (auch wenn's eine grüne Idee war) und in NRW die Wahlen gewonnen. Er ist eloquent, schlagfertig, macht wenig falsch. Aber auf das prinzipielle SPD-Problem hat auch er keine Antwort. Es ist schlicht nicht ihre Zeit. Das liegt auch an Schröders Erblasten (Hartz IV, Rente mit 67, von denen die Partei längst abgerückt ist und für die das Land dem Altkanzler dereinst danken wird), auch an mangelnder Glaubwürdigkeit oder Personalschwäche. Vor allem aber daran, dass die großen Bühnen heute von anderen dominiert werden. Atompolitik, Stuttgart 21, ökologische Moderne: alles grüne Profilierungsprojekte. Soziale Gerechtigkeit: längst von der Linken besetzt. Die SPD: irgendwo dazwischen. Die Grünen als nächste linke Volkspartei sind längst kein Hirngespinst mehr, sondern zum Greifen nah.

Im Kampf gegen diese Strukturkrise hat Gabriel nur eine Chance. Er muss dem Sprechen über eine fairere Verteilung unseres Wohlstands seine Gestrigkeit nehmen. Er muss das Thema "Arm-Reich-Schere" wieder modern klingen lassen. Und er muss sich in Geduld üben. Hamburgs Grüne führen ja zurzeit trefflich vor, wie ein paar Jahre an der Macht auch einer Zeitgeist-Partei jeden Glanz nehmen können.