Eine Glosse von Alexander Schuller

Es war die klassische Bethlehem-Situation, allerdings mitten in Eimsbüttel: Meine Kollegin und ich waren zu Fuß auf der Suche nach einem geheizten Hort der Freude, wo wir zu später Stunde noch was trinken konnten und dabei Zigaretten rauchen durften, um nach einem üblichen 36-Stunden-Tag über die Kantine, die Kollegen im Allgemeinen und den Chef im Besonderen zu quatschen. Wir froren erbärmlich. Als wir die Suche schon beinahe aufgegeben hatten, erschien uns dann doch noch ein Lichtlein am Horizont. Ein flackerndes Neonschild wies uns den Weg ins legendäre "439" in der Vereinsstraße. Dort arbeitete meiner Erinnerung nach einer der unfreundlichsten, aber professionellsten Wirte der Stadt. Er besaß den Charme einer Dampframme, aber er schenkte daumenbreite Drinks aus und Aschenbecher gehörten zur Grundausstattung dieser Bar.

Mit klammen Fingern öffneten wir die Tür. Und befanden uns tatsächlich im Himmel. Denn im "439" lungerten drei Engel in weißen, mit Strass verzierten Tüllgewändern herum. Ein vierter, ein ganz besonders draller Engel näherte sich uns und verwehrte uns den Eintritt: "Wir haben heute 'weißen Abend'." Den alten Wirt gab's nicht mehr, so viel stand fest. Meine Kollegin und ich sahen uns ratlos an. "Ja, wir hätten bestimmt auch noch ein weißes T-Shirt und eine weiße Hose für euch", flehte die weiße Umsatzbremse. Aber meine Kollegin und ich wollten doch nur Bier, Zigaretten und Wärme. Und nicht die Hosen runterlassen für eine blasse Laienspieltruppe.

Nicht nur die Kultur ist in dieser Stadt am Untergehen. Auch - und vor allem - die Kneipenkultur.