Stephan Karrenbauer, 48, Sozialarbeiter beim Obdachlosen-Straßenmagazin “Hinz & Kunzt“

1. Hamburger Abendblatt:

Ein Obdachloser wird in Hamburg, einer der reichsten Städte weltweit, in einem Müllcontainer abtransportiert. Wie ist Ihre spontane Reaktion auf diese Nachricht?

Stephan Karrenbauer:

Das ist schrecklich! Dass so viele Menschen draußen schlafen müssen und dass Menschen Müllcontainer als Wohnung verwenden müssen. Das Schlimme ist, dass wir uns in den vergangenen Jahren schon daran gewöhnt haben, dass es überhaupt Obdachlose gibt. Wir nehmen es einfach so hin. Das ist doch auch schrecklich. Es ist ein Skandal, dass wir überhaupt 1000 Menschen haben, die auf der Straße leben müssen.

2. Haben Sie schon von vergleichbaren Fällen wie dem jetzt in Hamburg gehört?

Karrenbauer:

Nein, noch niemals zuvor. Mir ist bisher kein Obdachloser bekannt, der in einem Müllcontainer übernachtet.

3. Wie kommt ein Mensch überhaupt dazu, in einer Altpapiertonne zu schlafen?

Karrenbauer:

Ich denke, dass dieser Mensch psychisch erkrankt ist. Er wird sicher schon seit vielen Jahren draußen leben, was seinen Gesundheitszustand verschlechtert hat. Er wird wahrscheinlich auch Erfahrungen mit einigen Krankenhäusern haben. Und wohl auch mit der Tatsache, danach immer auf die Straße entlassen zu werden. Bedenken muss man dabei aber auch: Der Inhalt einer Papiertonne wärmt. Der Mann wird sich gesagt haben, heute Nacht friere ich nicht.

4. Was läuft allgemein beim Umgang mit den Obdachlosen falsch in der Stadt?

Karrenbauer:

Wir haben nicht die richtigen Angebote. Es stimmt nicht, dass die Menschen keine Plätze haben wollen, denn die 100 Containerplätze sind immer schnell weg, weil es dort Einzelzimmer gibt. Andere Angebote, bei denen vier oder fünf Menschen in einem Raum schlafen, sind falsch. Diese Menschen wollen auch mal eine Tür hinter sich zumachen können.

5. Also muss es eigentlich mehr Plätze in speziellen Wohncontainern geben?

Karrenbauer:

Ja. Es müssen nicht nur viel mehr Plätze sein, sondern die müssen auch das ganze Jahr über angeboten werden. Es ist ein Unding, dass wir jedes Jahr nach sechs Monaten Notprogramm die Menschen auf die Straße werfen. Die Stadt muss darüber hinaus. ein ausreichendes Angebot machen. Eine Stadt kann doch nicht nur helfen, wenn die Menschen durch Kälte in Todesgefahr geraten! Es kann nicht sein, dass die Politik jahrelang das Motto der wachsenden Stadt ausgibt und dann nicht genug Wohnraum schafft. Stattdessen haben wir Wohnungsnot. Hamburg ist so gesehen eine arme Stadt.