Die Iranerin Hourvash Pourkian begeistert Hamburger Kinder für fremde Kulturen. Jetzt feiert ihre Initiative Switch fünfjähriges Bestehen

Rotherbaum. Im Iran hat sie die japanische Kultur entdeckt. Ganz nebenbei, bei einem Hausbesuch. Irgendwann in den 60er-Jahren, als Hourvash Pourkian, Tochter eines Unternehmers und Publizisten und einer Künstlerin aus dem Norden Teherans, mit ihren drei Brüdern und ihrer Schwester eine neue Mitschülerin zu Hause besuchte. "Bunte Schirmchen baumelten von der Decke, zum Abendessen gab es rohen Fisch." Eine Stadt, zwei Familien. Zwischen ihnen lagen Welten, aber nur wenige Straßen.

An ebenjenes Erlebnis erinnerte sich Hourvash Pourkian, mittlerweile 52 Jahre alt und auf dem Papier und im Herzen Hamburgerin, als sie Ende 2005 die Initiative Switch ins Leben rief. Die Idee: Kinder unterschiedlicher Herkunft bereisen vier Tage lang die Welt - und bleiben innerhalb der Stadtgrenzen. Jeden Tag lädt eines der vier Kinder, aus denen jeweils eine kleine Reisegruppe besteht, zu sich nach Hause ein. So trifft der neunjährige Ömer aus Wilhelmsburg auf die elfjährige Laura aus Poppenbüttel. Mal gibt es "typisch deutsche" Bratwürste, mal griechisches Gyros. "Ziel ist es, schon in der Kindheit die Neugierde für andere Kulturen zu wecken und so die Integration zu fördern", sagt Hourvash Pourkian.

Morgen feiert die ausgezeichnete Initiative, die bereits zwölf Preise gewann und 2008 vom damaligen Bundespräsidenten Horst Köhler zum "Ort der Ideen" ernannt wurde, ihr fünfjähriges Bestehen - mit einer beeindruckenden Bilanz: Mehr als 700 Familien aus 60 Nationen und 55 Stadtteilen haben einander schon ausgetauscht, also "geswitcht". "Dass wir so viele Menschen erreichen würden, habe ich anfangs nicht gedacht", sagt Hourvash Pourkian, die 2001 den damaligen Bürgermeister-Kandidaten Ole von Beust als "gesellschaftliche Beraterin" im Wahlkampf unterstützte, 2003 den Verein Kulturbrücke (30 Mitglieder) gründete und heute Abend von der Körber-Stiftung in der Reihe "Beweger" geehrt wird. Ihr Motto: "Fremde sind Freunde, die wir noch nicht kennen."

Diese Offenheit hat Hourvash Pourkian wohl auch geholfen, als sie 1974 als 16-Jährige nach Hamburg kam. Widerwillig. "Ich war frisch verliebt, wollte nicht weg aus Teheran. Ich habe mich unter Tränen geweigert, meinen Koffer zu packen." Teheran sei ihre Stadt gewesen, aber der Iran irgendwann nicht mehr ihr Land.

Ihre Kindheit sei "frei und fröhlich" gewesen. Im Bikini sei sie mit ihren älteren Brüdern auf dem Motorrad durch das Elburs-Gebirge gebraust, die Stadt sei westlich geprägt gewesen, das Familienleben liberal-muslimisch. "Dass die Scharia kommen und Ayatollah Khomeini dem Land einen so nachhaltigen Stempel aufdrücken würde, hat damals niemand geahnt."

Bis ihr großer Bruder Dariush, Jurastudent, beobachtete, wie Kommilitonen bei einer Demo von der Polizei niedergeprügelt wurden. Er ging nach Deutschland, die Familie folgte. Denn Vater Human, ein Bismarck-Verehrer, Schah-Kritiker und Freidenker, der seinen Töchtern schon früh Simone de Beauvoirs "Das andere Geschlecht" ans Herz gelegt hatte, arbeitete damals an einem regimekritischen Buch. "Er befürchtete, dass es dadurch im Iran für uns alle zu brenzlig werden würde."

In Hamburg, in der Eppendorfer Altbauwohnung, in die die Familie zog, fühlte sich Hourvash Pourkian zunächst nicht heimisch. "Schon dieses Kopfsteinpflaster überall - ich hatte gedacht, der Westen sei moderner", sagt die dunkelhaarige Frau mit dem ansteckenden Lachen. Angekommen habe sie sich erst gefühlt, als sie die deutsche Sprache gelernt hatte. "Nur dann ist Integration überhaupt möglich." Nach dem Abitur (Schnitt: 2,4) am Albert-Schweitzer-Gymnasium macht sie eine Lehre zur Groß- und Außenhandelskauffrau, studiert BWL und gründet ihre eigene Jeans-Firma - ein beruflicher Lebensweg, wie ihn sich mancher Politiker für jeden Migranten wünscht.

Hourvash Pourkian spricht nicht nur über Integration, sondern sie tut etwas dafür. "Homogene Freundeskreise schon im Kindergarten, Fremdenfeindlichkeit unter Jugendlichen und ausländerfeindliche Vorurteile unter Erwachsenen gehören teils immer noch zur Lebensrealität - das muss sich ändern." Das Projekt Switch ist ein kleiner Schritt, um das zu ändern. Ein Schritt, der Kinder einmal um die ganze Welt reisen lässt. Denn die ist längst in Hamburg zu Hause.