Der allmächtige Herrscher am Rande der Rennbahn bestimmt seit vier Jahrzehnten die Geschicke der Formel 1. Morgen wird der “Unerbittliche“ 80.

Hamburg. Wenn die Karawane der Formel 1 mit ihren gewaltigen Transportern und Wohnmobilen auf den Rennstrecken zwischen Melbourne und São Paulo einfällt, sind die Parkplätze zentimetergenau vermessen und vergeben. Der Platz ganz vorn, sozusagen an der Spitze des Feldes, ist immer und überall auf der Welt für Charles Bernard Ecclestone reserviert. Auf der schwarzen Mercedes-Limousine, die der südkoreanische Veranstalter am vergangenen Wochenende bereitstellte, stand auf dem Kennzeichen nur ehrfürchtig "Mr. Ecclestone".

Am Donnerstag feiert der Alleinherrscher des Formel-1-Zirkus seinen 80. Geburtstag. Bernie Ecclestone, der Arbeitersohn aus Ipswich, den sie in der Branche nur "Mr. E" oder, etwas kritischer, "Godfather" nennen. Der Pate.

Der 1,58 Meter kleine Brite sieht aus wie aus der Zeit gefallen. Dünnes grau-weißes Haar ohne jede Andeutung einer Frisur, leicht getönte Nickelbrille, dahinter das rechte Auge immer leicht zugekniffen, stets ein blütenweißes Hemd über der grauen Hose, das Handy in der einen, den flachen schwarzen Aktenkoffer in der anderen Hand - als hätten sich die Beatles nie aufgelöst und er wäre einer von ihnen.

Ausgerechnet der schnellste Sport der Welt, in dem der 41-jährige Michael Schumacher bei seinem Comeback als "Renn-Opa" tituliert wird, leistet sich einen geheimnisvollen Methusalem an seiner Spitze. Keine andere Sportorganisation erlaubt sich eine solche autokratische Figur, nicht einmal Fifa-Präsident Sepp Blatter verfügt über eine solche Machtfülle. Details aus seiner Geschäftspraxis verrät er nicht. Nur so viel: "Ich mache viel Geld für andere. Und ein wenig für mich."

Bernie Ecclestone, der seine ersten Millionen als Autohändler und Immobilienhändler verdiente, hat in den 70er-Jahren das Potenzial des Motorsports erkannt. In einer Zeit, als ölverschmierte englische Bastler die Rennwagen in ihren Garagen noch selbst zusammenschraubten, kurz, als die Formel 1 "noch ein Sauhaufen war", wie der frühere Rennfahrer und RTL-Experte Christian Danner sagt. Ecclestone gelang es, die Formel 1 auf eine explosive Mischung aus "Spannung, Gefahr, Menschen im Grenzbereich und ein wenig Glamour" zu reduzieren und sie für das Fernsehen und den Boulevard interessant zu machen. Er gründete das "Formula One Management" und verkaufte Fernseh- und Marketingrechte. Er ersann den "Paddock Club", in dem vermögenden Menschen für ein paar Tausend Euro vorgegaukelt wird, Einblicke ins Allerheiligste des Grand-Prix-Sports zu erhalten. Und er lässt die Bilder, die im 14-Tage-Rhythmus über die Mattscheiben flimmern, selbst in einem mobilen Studio produzieren. Kein unbedarfter Kameramann darf die PS-Show mit langweiligem Bilderrauschen trüben.

Die beste Geschäftsidee ist für Ecclestone immer die des Monopolisten gewesen. Wer die Ware hat, diktiert den Preis. "Es macht mir Spaß zu kaufen und zu verkaufen", sagt er. Das war schon in seiner Schulzeit so, als er die Bäckereien der Umgebung leer kaufte und sein Gebäck anschließend meistbietend verhökerte. Die Formel 1 generiert einen Umsatz von mehr als zwei Milliarden Euro, gilt nach Fußball-Weltmeisterschaft und Olympischen Spielen als Nummer drei der Sportevents. Aber erst in den letzten Jahren verdient sie wirklich den Titel "Weltmeisterschaft". Bernies Roadshow erschloss die Ölstaaten am Persischen Golf und die aufstrebenden Staaten Südostasiens als Geldquellen und schlug für die kommenden Jahre Pfeiler in Indien, Russland und für ein Comeback der einige Jahre Grand-Prix-abstinenten USA ein. Dabei müssen es als Gesprächspartner schon Leute wie Wladimir Putin höchstselbst sein. Wer in den exklusiven Zirkel aufgenommen werden will, sollte schon mal 40 Millionen Dollar hinterlegen. Traditionsreiche Pisten in Europa, denen finanziell die Luft ausgeht, bleiben auf der Strecke. Geschichte, weiß Ecclestone, bringt kein Geld.

Als 1996 der Große Preis von Deutschland wegen eines Tabakwerbeverbots auf der Kippe stand, ließ sich Ecclestone kurzerhand von Kanzler Helmut Kohl eine Ausnahmegenehmigung verschaffen. Politiker wechseln sich mit Unternehmern, Sportgrößen mit Showstars ab. Die Medien müssen sich bitte ganz hinten anstellen. Seine Definition von Zeit ist, keine zu haben.

So läuft auch eine Begegnung mit "Mr. E" immer nach dem gleichen Muster ab. Freundlich, gewiss, auch verbindlich. Aber immer unter dem Druck des unerbittlichen Uhrzeigers. "Lassen Sie uns anfangen", heißt: Der nächste wartet schon draußen. Es war bei einem jener legendären Abendessen mit einem Kreis ausgewählter Journalisten, bei dem er einmal seine Vision entwarf, wie der Formel 1 neue Märkte zu erschließen seien: "Was uns fehlt, sind ein schneller Deutscher, ein Schwarzer und ein Chinese." Michael Schumacher und Lewis Hamilton hat er bekommen, fehlt nur noch der Asiate.

Es ist zumindest bizarr, wenn nicht absurd, dass sich Weltkonzerne wie Mercedes und Renault, Toyota und Ford, BMW und Fiat (Ferrari) dem Diktat dieses kleinen Zirkusdirektors unterwerfen. Der frühere Rennfahrer Marc Surer, heute Fernsehexperte beim Pay-TV-Sender Sky, hat dafür eine schlichte Begründung: "Die Teams glauben einfach, dass er derjenige ist, der für sie am meisten herausholt und am meisten für sie kämpft." Es könnte nämlich sein, so die Befürchtung der Rennställe, dass transparente Strukturen erheblich weniger Geld in die Kassen spielen. Erst jetzt trauen sich die Hersteller langsam aus der Reserve. Statt jener 50 Prozent aller Einnahmen, die ihnen der Boss zubilligt, fordern sie für den nächsten Marketing-Deal, der den rasanten Namen "Concorde-Abkommen" trägt, künftig 75 Prozent. Ihr Argument ist eigentlich das von Ecclestone: "Wir haben die Ware ..."

Die Formel 1 könne durchaus eine Demokratie sein, pflegt Ecclestone zu scherzen, "wenn ich am Ende recht habe". Welche Person des öffentlichen Lebens könnte es sich erlauben zu sagen: "Hitler war jemand, der die Dinge geregelt bekam." Oder: "Saddam hat aus dem Irak ein stabiles Land gemacht." Diktatoren als Vorbilder. Auch Ecclestone vertraut nur handverlesenem Personal, das er seit Jahrzehnten kennt.

Dabei verweist Ecclestone gern darauf, dass er eigentlich keine Macht mehr besitzt, seit er vor einem Jahrzehnt den Großteil seiner Anteile an die Investorengruppe CVC mit Sitz in Luxemburg verkaufte - doch als eingesetzter Geschäftsführer handelt er weiter mit den Rechten am Vollgaszirkus.

Das Geld konnte er gut gebrauchen, als er sich im vergangenen Jahr gegen ein paar Hundert Millionen Euro von seiner 28 Jahre jüngeren und 25 Zentimeter größeren Frau Slavica scheiden ließ. Seine neue Lebensgefährtin, die Brasilianerin Fabiana Flosi, ist fast ein halbes Jahrhundert jünger.

Auch mit 80 kann der Formel-1-Zampano dem Tempo der Vollgasbranche folgen. Die blitzschnelle, messerscharfe Analyse ist bis heute seine Stärke geblieben. Den Spott über seine acht vollendeten Lebensjahrzehnte erträgt er gelassen. Als ihm der 57 Jahre jüngere deutsche Rennfahrer Sebastian Vettel in Südkorea einen Rollator in den Sponsorfarben Red Bulls mit Frontspoiler und drei Knöpfen - "Krankenschwester", "Pasquale" (sein Assistent) und "Viagra" überreichte, quittierte Ecclestone das Geschenk mit einem Lächeln und erhobenem Mittelfinger.

Ernsthaftigkeit umgibt den Mann mit der Jockeyfigur eines Rennfahrers, der seine Grenzen hinter dem Lenkrad schnell erkannt hatte, nur bei zwei Themen: seinen Geschäften und dem Tod. "Ich habe viele Fahrer sterben sehen", wird er wortkarg, wenn er mit der Lebensgefahr konfrontiert wird, die beim Rennsport Geschäftsgrundlage ist. Die ersten beiden Rennfahrer, deren Verträge er aushandelte, waren seine Freunde. Beide starben auf der Rennstrecke: Stuart Lewis-Evans 1958 und Jochen Rindt 1970. Als eines seiner größten Verdienste kann sich Ecclestone anrechnen lassen, dass er die verschärften Sicherheitsvorschriften der fragilen Formel-1-Autos forciert hat. Seit Ayrton Senna 1994 in Imola verunglückte, ist kein Grand-Prix-Star mehr auf der Piste ums Leben gekommen.

Wie lange kann - und will - dieser Mann noch weitermachen? Bernie Ecclestone lebt seit mehr als einem Jahrzehnt mit drei Bypässen. Martin Whitmarsh, Teamchef des McLaren-Rennstalls, behauptet: "Er hat ja gesagt, er will bis 90 weitermachen." Von einem Nachfolger ist nicht die Rede.

Ecclestone war beim ersten Grand Prix der Geschichte 1950 in Silverstone dabei - als Fahrer im Rahmenrennen. Es könnte sein, dass mit Ecclestone eines Tages auch die Formel 1 stirbt.