WikiLeaks veröffentlicht brisante Irakkriegs-Dokumente.

Das moralische Dilemma ist den Deutschen prinzipiell bekannt - wenn auch in weit weniger brisanter Form: Soll man unrechtmäßig erworbene Steuerdaten verwenden, um dem Recht Geltung zu verschaffen? Die umstrittene Nutzung der gestohlenen Daten sollte letztlich einem höheren Rechtsgut dienen - und diese Wertung ist dann erst recht richtig, wenn es nicht nur um Geld, sondern um Menschenleben geht. Die Veröffentlichung von fast 400 000 geheimen Pentagon-Dokumenten über den Irakkrieg gefährdet nach Auffassung von US-Regierung und US-Militär die nationale Sicherheit. Doch das ist eine durchsichtige Schutzbehauptung. Ohnehin wird dieser Begriff spätestens seit den Terrorakten im September 2001 bedenklich inflationär verwendet - und besonders gern dann, wenn der Weltöffentlichkeit gewisse Sauereien vorenthalten werden sollen.

Die von der Internetplattform WikiLeaks herausgegebenen Dokumente zeichnen ein Bild wie aus dem Dreißigjährigen Krieg. Da mordet und foltert sich das zeitweise 100 000 Mann starke amerikanische Söldnerheer ebenso quer durch den Irak wie dessen undisziplinierte Armee, da feuern überforderte US-Soldaten auf Zivilisten und ignorieren weitgehend die Gräueltaten um sie herum. Auf mehr als 122 000 getötete Zivilisten kommt die Organisation Iraq Body Count. Das ist eine entsetzliche Bilanz - namentlich vor dem Hintergrund des amerikanischen Anspruchs, die Menschenrechte im Irak nach dem Sturz des tyrannischen Massenmörders Saddam Hussein schützen zu wollen. Beteuerungen der irakischen Regierung, man werde alle Vorwürfe genau untersuchen, sind nicht viel wert - auch das derzeitige Regime steht im Ruf, hemmungslos zu foltern und hinzurichten.

Ungleich interessanter ist die Reaktion der USA. Es ist verständlich, dass sich Washington Sorgen um den ohnehin beschädigten Ruf der USA macht. Wenn das alleinige Resultat einer solchen Veröffentlichung wäre, ein Land an den Pranger zu stellen, das sich im Krieg mit fanatischen und mörderischen Kräften befindet, dann wäre diese Aktion ein Desaster. Wenn die WikiLeaks-Dokumente - die ja von Amerikanern enthüllt wurden - allerdings zu einer Überprüfung der Einsatzregeln der US-Streitkräfte und vor allem des Einsatzes von Söldnern führen sollten, dann wäre diese Veröffentlichung gerechtfertigt und im besten Interesse Amerikas. Menschenrechte sind allemal ein höheres Rechtsgut als eine diffuse, nach Belieben definierte nationale Sicherheit.