Die Menschen in der Stadt trauern mit Helmut Schmidt um dessen Ehefrau. Der Tod geht ihnen “an die Nieren“

Hamburg. Heftige Böen wehen über den Rathausmarkt; Ahornlaub wird durch die Luft gewirbelt. Fußgänger hasten über den Platz, mehr schlecht als recht mit Schirmen gegen die Regenschauer geschützt. Dazwischen picken Tauben nach Nahrung. Es ist eine Stimmung, die frösteln lässt. Nasskalt umklammert sie die Seele. Passend zu diesem unwirtlichen Oktobertag, den viele nicht vergessen werden. Weil Hamburg in ganz besonderem Maße Trauer trägt. 16.15 Uhr. Eine Glocke schlägt. Es ist Tag eins nach Loki Schmidt, es ist ein trauriger Tag.

Über dem Rathausportal flattern zwei schwarze Flore im Herbststurm. "Was ist denn passiert?", fragt eine Passantin mit schwarzem Regencape den wachhabenden Polizisten am Eingang. "Loki Schmidt ist gestorben", entgegnet dieser. Schweigen. "Oh mein Gott", sagt die Dame. "Frau Schmidt war ein Engel für unsere Stadt." Betroffen eilt sie Richtung Mönckebergstraße. Vorbei an zwei Männern mit neongelben Westen, die eine lange Leiter tragen. Neben dem riesigen Fahnenmast inmitten des Marktes stoppt ein orangefarbener Transporter. Auf der Ladefläche steht ein Bastkorb. Der Fahrer zieht eine große Hamburgflagge heraus. Anschließend klettert er die Leiter hoch. Wenig später hängt der Stoff auf halbmast. Und wieder schlägt die Glocke.

Trotz des schaurigen Wetters verharren Menschen vor dem Mast. Der Verlust einer hanseatischen Ikone spricht sich rasch herum - wenige Monate nach dem Abschied von Heidi Kabel. "Ich habe sie nicht persönlich gekannt, aber ich habe sie gemocht", sagt Hildegard Borges aus Sasel. "Sehr sogar." Weil sie so bodenständig gewesen sei, ergänzt ihr Begleiter. Genau das Gegenteil von hochnäsig. Erdverwachsen, naturverbunden. Eine weitere Frau gesellt sich hinzu. Sie hat die bittere Nachricht aus dem Radio erfahren. "Leider war damit zu rechnen", meint sie. 91 Lebensjahre seien ein gesegnetes Alter. "Unter dem Strich kann Hamburg dankbar und stolz sein." Loki Schmidt habe enorme Würde gehabt.

"Traurig, sehr traurig", sagt Kioskverkäuferin Eva vis-à-vis dem Rathaus. Der Tod der großen Hanseatin mit dem lebensfrohen Naturell sei Gesprächsthema Nummer eins in und vor der Imbissbude. Auch bei ihr dominiere Dankbarkeit, dennoch sei der Moment der schweren Botschaft ein schmerzlicher Augenblick. Auch weil einem dann erst so richtig in den Sinn komme, was man besessen habe. "Loki und Helmut Schmidt sind für mich mit einer guten Zeit verbunden - für Hamburg und Deutschland", sagt Werner Bruisch aus Hanstedt in der Nordheide und schmeißt seinen Kaffeebecher in den Papierkorb. "Mir geht Lokis Tod an die Nieren." Auch er spricht von Loki, wie fast alle anderen, und nicht von Frau Schmidt. Es ist eine Sympathiebekundung der besonderen Art.

Der Polizeibeamte vor dem Rathaus muss jetzt immer öfter Auskunft geben. Warum der Trauerflor, warum halbmast? Er erledigt die traurige Pflicht freundlich, doch mit betroffener Miene. In der Rathausdiele suchen spontane Trauergäste vergebens nach einem Kondolenzbuch oder einem Bild der verstorbenen Ehrenbürgerin. "Freitagvormittag ist es so weit", sagt die Hostess am Empfangstresen. Ein Ehepaar aus Köln möchte sich in den großen, schwarzen Band neben ihr eintragen. Es ist das Gästebuch des Rathauses, und es ist voll geschrieben. Mit fröhlichen Grüßen. Vom Vortag.

Auch an anderen Orten der Stadt wird über das traurige Ereignis gesprochen. Meist überwiegt eine Melange aus Betrübnis und schönen Erinnerungen. Und quasi unisono folgt die Hoffnung, "dass Helmut Schmidt diesen Tiefschlag um Gottes Willen gesund überstehen möge".

Genau dies empfindet auch dessen Freund, der ehemalige Bürgermeister Hans-Ulrich Klose. Der Bundestagsabgeordnete, dessen Parteibuch von Helmut Schmidt unterschrieben ist, erfuhr während eines Termins im Bergedorfer Schloss vom Tod Loki Schmidts und reagierte gleichfalls geschockt: "Es wird jetzt sehr schwer für Helmut. Hoffentlich hat er guten Beistand." Und hoffentlich sei Loki "friedlich eingeschlafen". An ihr habe er ganz besonders die ausgeglichene, positive Art geschätzt. "Lokis selbstverständliche Fröhlichkeit entsprach ihrem hanseatischen Wesen", sagte Klose.

Auch am späten Abend herrschten tiefe Betroffenheit und Flüsterton. Die Verleihung des Helmut-Schmidt-Journalistenpreises im Atlantic-Hotel, die eigentlich abgesagt werden sollte, wurde auf ausdrücklichen Wunsch des Witwers doch durchgeführt - natürlich ohne den Hanseaten mit dem preußischen Habitus. Zu Beginn erhoben sich die 130 Gäste zu einer Schweigeminute, anschließend las Theo Sommer aus seinem Buch "Unser Schmidt".

Und als die Gäste kurz vor 22 Uhr das Hotel verließen, herrschte Schweigen. Es ging hinaus in eine regennasse, stürmische Nacht, die irgendwie zu diesem 21. Oktober passte. Helmut Schmidt ist Witwer, etwas eigentlich Unzertrennbares ist nicht mehr eins. Seit gestern fehlt Hamburg etwas. Etwas sehr Wertvolles.