Klaus-Peter Schöppner, 60, ist Chef des Umfrage- und Forschungsinstituts Emnid.

Hamburger Abendblatt:

1. Die SPD hat sich zunächst für das Projekt Stuttgart 21 ausgesprochen. Jetzt ist sie gegen den Bahnhofsbau. Hat die Partei dadurch an Glaubwürdigkeit verloren?

Klaus-Peter Schöppner:

Die SPD findet keine klare Position. Dadurch ist sie in der politischen Diskussion und ihrer Glaubwürdigkeit ins dritte Glied zurückgefallen. Es gibt zwei Parteien, die zumindest versuchen, klarere Positionen aufzunehmen. Und das sind die Grünen und die CDU. Das "Jain aber" der SPD ist eine butterweiche Haltung. Darin kommt eher parteipolitisches Kalkül des SPD-Vorsitzenden Gabriel zum Ausdruck.

2. Am 27. März wird in Baden-Württemberg ein neuer Landtag gewählt. Handelt die SPD allein aus Wahltaktik?

Schöppner:

Einerseits will die SPD den Aufschwung, den sie vermeintlich hat, nicht riskieren. Andererseits versucht man, den sozialdemokratischen Kern zu wahren. Das dient aber nicht dazu, Stimmen aus dem gegnerischen Lager zu erhalten. Dieser schwammige Kurs ist durchschaubar und gefällt den Wählern überhaupt nicht. In Krisenzeiten wollen die Wähler, dass sich die großen demokratischen Kräfte zusammenraufen und versuchen, eine gemeinsame Lösung zu finden.

3. Kann denn die SPD in Baden-Württemberg von der Schwäche der FDP profitieren?

Schöppner:

Die Annahme, dass die SPD überhaupt profitiert, ist ein Irrglaube. Natürlich hat sie ein paar Wähler, auch von der FDP, gewonnen. Der eigentliche Vorteil der SPD in Umfragen liegt darin, dass wir zurzeit einen sehr hohen Anteil an Nichtwählern haben. Die SPD selbst hat kaum Stimmen dazugewonnen.

4. Wie geschlossen ist die SPD in der Frage des Projekts Stuttgart 21?

Schöppner:

Sie ist gar nicht geschlossen. Eigentlich hat derzeit nur Gabriel das Sagen. Ich glaube, wenn Frank-Walter Steinmeier wieder in den Ring kommen sollte, gibt es eine andere Position.

5. Nutzt Gabriel also vor allem eine Gelegenheit, sich parteistrategisch zu positionieren?

Schöppner:

Die Reihenfolge bei Gabriel ist Partei vor Staat, während der Bürger eigentlich Staat vor Partei haben will. Auch Politiker wie Steinmeier und Peer Steinbrück verkörpern eher die zweite Position und vermitteln den Eindruck, ihnen liege das Wohl der Bürger näher. So sieht das auch die bundesweite Wählerschaft der SPD. Gabriel folgt als Wendepolitiker mehr dem Mainstream, dem Agenda-Setting der momentanen Volksmeinung. Und er ist eben nicht der Politiker, der eine klare Haltung durchzieht und damit aus seiner Verantwortung als Staatsmann handelt.