Der Hamburger Hersteller Still präsentiert Kunden seine neuesten Fahrzeuge in einem Musical. Die sechsstellige Investition zahlt sich aus.

Hamburg. Hätte er Haare, er würde sie sich permanent raufen. Dem korpulenten Lagerleiter ist die Kontrolle über die Logistikprozesse auf dem Planeten Arragon entglitten. Die Palette mit den teuren Pandora-Früchten ist verschwunden, seine zerfledderte Liste ist nicht aktuell, die Gabelstapler zu breit für die Gänge im Lager. Hektisch rollt der Kahlkopf auf Inlineskates von Regal zu Regal, gerät in seinen lila Glanzleggins ins Schwitzen. Bis die (Er-) Lösung auftaucht: Ken, der Logistikzauberer vom Planeten Still , bringt singend und tanzend Ordnung ins Chaos. Mit einem Logistiksystem, das Abläufe, Wege und Kosten optimiert. Mit dem Gabelstapler RX 20-16, der so schmal ist, dass er engste Gänge passiert. Und mit vier Salto schlagenden Lagerarbeitern, die getreu dem Stillschen Servicegedanken innerhalb von Sekunden beim Kunden landen.

Glanzleggins und Gabelstapler - das passt zusammen. Der Hamburger Logistikdienstleister Still präsentiert seine Innovationen mit einem Musical. Egal, ob es um Gabelstaplermodelle oder Systemlösungen für Logistikprozesse geht.

Wo andere Unternehmen Powerpointfolien oder Broschüren zeigen, punktet Still mit einer Bühnenshow voller Lichteffekte, professionellem Gesang, akrobatischen Tanzeinlagen. Und einer in sich geschlossenen Handlung, die mit einem perfekt organisierten Lager und drei Liebespaaren endet. "Unsere Musicals sind aber keine Partyveranstaltung, sondern verfolgen ein klares Ziel", betont Christian Baerwolff, der Marketingchef bei Still.

Das müssen sie auch. Schließlich investiert Still nicht umsonst sechsstellige Summen pro Jahr in die direkte Kundenkommunikation. Mit diesem Geld beauftragt das Unternehmen ein halbes Dutzend Bühnenarbeiter, einen professionellen Regisseur und zehn Profidarsteller, darunter der Hamburger Jazzsänger und Musikprofessor Ken Norris. Alle paar Wochen fahren Still-Azubis die Gabelstapler bei Scheinwerferlicht und Gesang durch eine Werkshalle auf dem Firmengelände in Billbrook. Regelmäßig geht das gesamte Ensemble sogar auf Europa-Tournee, zeigt das Musical jeden Abend in einer anderen Stadt. Im Publikum sitzen Bestandskunden und potenzielle Käufer. Aber auch Still-Mitarbeiter und deren Familien, die als interne Markenbotschafter gelten. Insgesamt begeistert die Vorstellung jedes Jahr 15.000 Zuschauer. Das Ziel: emotionale Kundenbindung. Denn die zahlt sich für den Hersteller aus.

Diese Erkenntnis setzt sich bei Unternehmen, die ausschließlich im Geschäft mit anderen Firmen tätig sind, nur langsam durch. "Die Hersteller von Konsumgütern sind bei der emotionalen Ansprache ihrer Kunden schon viel weiter", sagt Thomas Gey, Marketingprofessor an der privaten Fachhochschule Nordakademie. Bekannte Beispiele sind die Flugtage von Red Bull, die den Markenkern rund um Adrenalin und das Austesten von Grenzen betonen. Oder der Weihnachts-Lkw von Coca-Cola, der mit seiner Deutschland-Tournee alle Jahre wieder Kinderherzen gewinnt. Mit Erfolg: Nicht umsonst ist Coca-Cola eine der wertvollsten Marken der Welt. Auch Red Bull ist nach wie vor Marktführer bei Energydrinks - obwohl die Produkte zu den teuersten am Markt gehören. "Die Austauschbarkeit ist im Konsumgüterbereich so groß geworden, dass der emotionale Markenwert immer wichtiger wird", erklärt Gey.

Ein Musical als eine besondere Form der Kundenbindung

Das lässt sich auch auf Firmen übertragen, die sich als Dienstleister für andere Unternehmen verstehen. Denn auch hier werden die Technologien immer ähnlicher, die Abgrenzung vom Wettbewerb schwieriger. "Die Einkäufer in großen Unternehmen sind schließlich auch nur Menschen", sagt Gey. "Ebenso wie der Endverbraucher lassen auch sie sich bei ihren Kaufentscheidungen von unbewussten Emotionen leiten. Und je mehr Sinne angesprochen werden, desto größer ist die Wirkung." Auch eine Untersuchung der Beuth-Hochschule in Berlin hat ergeben, dass die Kundenbindung entscheidend für die Wettbewerbsfähigkeit von Dienstleistern ist - denn Neukunden zu gewinnen ist viel teurer, als Bestandskunden zu halten. Emotionale Werbung nimmt demnach einen immer wichtigeren Stellenwert ein. Wer sperrige Maschinen verkauft, hat es natürlich schwerer, Gefühle anzusprechen als ein Getränkeproduzent. So fantasiereich und professionell wie die Still-Gruppe mit ihrem Musical betreibt allerdings wohl kaum ein anderer europäischer Konzern die emotionale Kundenbindung. Aber auch bei anderen erfolgreichen Dienstleistern zahlen sich entsprechende Strategien mittlerweile aus.

Andere Firmen setzen eher auf Service und Design

Ein Beispiel ist die Bergedorfer Firma Hauni, eine Tochter der Körber AG und Weltmarktführer im Maschinenbau für die Tabakindustrie. "Bei uns leistet der Service rund um unsere Produkte einen wesentlichen Beitrag zur Kundenbindung", sagt Marketingchef Andreas Landowski. Dazu gehöre ein Trainingscenter für Maschinenführer ebenso wie die regelmäßige Modernisierung der Maschinen und ein ansprechendes Design. Zudem darf eine Hauni bei der Tabakverarbeitung weder stauben noch zu laut sein. "Die Arbeiter sollen sich an unseren Maschinen wohlfühlen", sagt Landowski.

Die Liechtensteiner Firma Hilti, Marktführer bei Geräten für die Bauindustrie, hat eine Designoffensive zum Erfolg geführt. "Die meisten Bauarbeiter würden wahrscheinlich leugnen, dass Emotionen bei der Wahl der Arbeitsgeräte eine Rolle spielen", sagt Hilti-Chefdesigner Stephan Niehaus. Und trotzdem: "Design erzeugt unterschwellige Schlüsselreize - wir setzen es ein, um Emotionen zu transportieren." Deshalb hat das Unternehmen im Jahr 2003 viel Geld in eine neue Markenpositionierung investiert. Heute ist jede Hilti-Maschine durch das markengeschützte Rot erkennbar, durch eine spezifische Form und einheitliche Schrift auf den Geräten. Die Folge: "Das einheitliche Design beeinflusst die Kaufbereitschaft der Kunden stark", sagt Niehaus. "Vor allem in Bereichen, in denen wir noch nicht so bekannt sind, profitieren wir vom Vertrauenstransfer."

Auch bei der Still-Gruppe rechnen sich die Emotionen, die ein Lagerleiter auf Inlineskates und Gabelstapler im Scheinwerferlicht wecken, nachweisbar. Die Besucherzahlen auf Messeständen, wo die Show regelmäßig aufgeführt wird, seien stark gestiegen. Auch die Kaufbereitschaft der Zuschauer sei nach dem Musical deutlich höher - zumal die Einkäufer deutlich mehr Zeit investieren als in eine normale Produktvorstellung. "Wir erzielen durch unsere Shows eindeutig ein Umsatzplus", sagt Still-Kommunikationschef Matthias Klug. "Die Kosten werden durch den Nutzen mehr als gedeckt." Der Schweiß auf den lila Glanzleggins ist also gleichzeitig auch die Eintrittskarte in das Herz der zahlenden Kunden. Und davon profitiert auch die Firmenkasse von Still.