Die Erleichterung in Union und FDP war groß, als es am 27. September 2009 nach elf Jahren wieder für eine schwarz-gelbe Mehrheit reichte.

Aber der Koalitionsvertrag, der Wirtschafts- und Haushaltskrise ausblendet, bereitete den Boden für einen Fehlstart ohne Beispiel. Das Wachstumsgesetz, das die Hotellerie mit Steuergeschenken bedenkt, wurde zum Sinnbild für Klientelpolitik. Der Einfall, bis zur Wahl in Nordrhein-Westfalen vorsichtshalber Pause zu machen mit dem Regieren, trug zum Machtverlust im bevölkerungsreichsten Bundesland bei. Der Streit in den Koalitionsparteien eskalierte in persönliche Beleidigungen. Um das Blatt bis zu den nächsten Landtagswahlen zu wenden, haben Union und FDP den Herbst des Handelns ausgerufen. Unpopuläre Großprojekte sollen im Eiltempo durchgesetzt werden. Wäre heute wieder Bundestagswahl, müsste sich die Union auf ihr schlechtestes Ergebnis einstellen und die FDP um den Verbleib im Parlament bangen. Der Kanzler käme aus der SPD - oder von den Grünen.

Nach dem ersten Jahr ist Schwarz-Gelb nicht mehr die Koalition von Merkel, Westerwelle und Seehofer. Die Erosion ihrer Macht ist weit fortgeschritten. Alle drei Parteivorsitzenden tragen wesentlich selbst dazu bei. Das Bemühen des CSU-Chefs ist darauf ausgerichtet, die FDP zu demontieren. So will er seine Partei in Bayern zurück zur Alleinregierung führen - und führt sie nur weiter ins Abseits. Dass Seehofer eine erfolgreiche Arbeit der Bundesregierung damit fast unmöglich macht, wird in München als Kollateralschaden verbucht.

Der FDP-Vorsitzende verdrängt, dass er seinem Vorbild Genscher nicht sehr ähnelt. Das Amt des Außenministers ist Westerwelle fremd geblieben. Die FDP hat er zur Steuersenkungspartei reduziert, was ein besonderes Problem darstellt, wenn es keine Spielräume für Steuersenkungen gibt. Der Kurswechsel, an dem sich die Liberalen versuchen, wird bereits von anderen gestaltet. Die FDP debattiert offen über Westerwelles Zukunft.

Die CDU-Chefin wiederum treibt die Modernisierung ihrer Partei voran und lässt zu, dass immer mehr Stammwähler sich abwenden. Die Gründung einer demokratisch legitimierten Partei rechts der Union wird vorstellbar. Profilierte Konservative ziehen sich zurück. Als Kanzlerin agiert Merkel, als gäbe es keine Richtlinienkompetenz. Die Versuche nach der Sommerpause, endlich Führung zu zeigen, lassen ahnen, warum sie es so selten tut. In einer Koalition die Linie vorzugeben liegt Merkel nicht.

Schwarz-Gelb wird im zweiten Jahr eine Regierung der Anwärter sein - auf die Kanzlerkandidatur der Union und die Führung der drei Regierungsparteien. Der Name jedes Anwärters ist mit einem Zukunftsprojekt verbunden: die Bundeswehr zu reformieren; das Gesundheitssystem auf ein stabiles Fundament zu stellen; den Übergang ins Zeitalter der erneuerbaren Energien zu organisieren; die Hilfe für Arbeitslose so zu gestalten, dass sie zurück in die Arbeitswelt finden. Schwarz-Gelb wird zur Koalition von Karl-Theodor zu Guttenberg, Philipp Rösler, Norbert Röttgen und Ursula von der Leyen. Der Widerstand gegen sie ist groß - gerade in den eigenen Reihen. Doch die amtierenden Parteivorsitzenden sollten erkennen: Vom Erfolg der Anwärter hängt es ab, ob Schwarz-Gelb eine zweite Chance bekommen wird.