Trotz aller Rückschläge ist die Wahl in Afghanistan ein Erfolg.

Stellen Sie sich einmal vor, Deutschland würde von einer ebenso inkompetenten wie korrupten Regierung geführt und weite Teile der Republik würden von einer radikalen Terrororganisation beherrscht, die jedem Bürger den Tod geschworen hat, der sich an der Bundestagswahl beteiligt. Mehr als 40 Menschen wären bei diesem Urnengang bereits getötet worden, darunter Wahlhelfer. Raketenüberfälle und schwere Gefechte wären an der Tagesordnung; ein erheblicher Teil der Wahllokale wäre aus Sicherheitsgründen gar nicht erst geöffnet worden. Zudem wären Zehntausende gefälschte Wahlberechtigungen im Umlauf, die Ihre Stimmabgabe entwerten können. Gewissensfrage: Würden Sie unter diesen Umständen und unter akuter Lebensgefahr überhaupt noch wählen gehen?

Rund 40 Prozent der Afghanen haben es am Wochenende jedenfalls getan; und Hunderte Frauen haben sich als Kandidatinnen für das Parlament in Kabul aufstellen lassen - obwohl sie jederzeit damit rechnen müssen, von den Taliban bestialisch ermordet zu werden. Was für einen Mut dies erfordert, können wir uns in unserer europäischen Oase des Friedens und des Wohlstands überhaupt nicht vorstellen.

Doch wenn Guido Westerwelle das geschundene Land am Hindukusch nun bereits auf gutem Weg zur Demokratie sieht, ist dies eine recht optimistische Einschätzung. Zähneknirschend hat sich der Westen von seiner naiven Vision eines demokratischen, pluralistischen Afghanistan verabschieden müssen, für die er einst in den Krieg gezogen war. Übrig geblieben ist das Minimalziel der Verhinderung einer neuen grausigen Taliban-Tyrannei. Und ob selbst diese vergleichsweise bescheidene Marke dauerhaft erreicht werden kann, ist unsicher. Noch ist die afghanische Armee nicht einmal ansatzweise in der Lage, das Land zu stabilisieren - und der Countdown für den gesichtswahrenden Abzug der Nato läuft längst. Vor dem Hintergrund eines archaischen Islam, einer in verfeindete Fraktionen zersplitterten, patriarchalischen Stammesgesellschaft und einer bis auf den Drogenhandel fehlenden wirtschaftlichen Basis ist eine stabile, womöglich gar demokratische Zivilgesellschaft derzeit kaum vorstellbar. Als Alternative zu den Steinzeit-Islamisten der Taliban bietet sich zudem nur eine Politikerkaste an, die in vielen Fällen vorwiegend die eigene Bereicherung anstrebt.

Und doch ist diese Wahl ein Erfolg. Sie demonstriert eindrucksvoll den unbeugsamen Willen von Millionen Afghanen zur politischen Teilhabe und Gestaltung. Er gleicht jenen zarten Pflänzchen, denen es am Ende gegen alle Wahrscheinlichkeit gelingen kann, durch meterdicken, alles erstickenden Asphalt ins Licht durchzubrechen.