"Wer kämpft, kann verlieren. Wer nicht kämpft, hat schon verloren." Nach diesem Motto machte der frühere Bundeskanzler Gerhard Schröder Politik. Angesichts der Widerstände in seiner Amtszeit hat er es damit ziemlich weit gebracht. Seine Nachfolgerin Angela Merkel würde über eine so forsche Formulierung vermutlich eher schmunzeln, ihr liegt das offensive Auftrumpfen nicht so. Aber auch Merkel hat im Sommerurlaub offenbar erkannt, dass sie jetzt kämpfen muss, wenn sie sich nicht in den Niedergang ihrer politischen Karriere fügen will.

Angela Merkel kämpft nach einem verlorenen ersten Jahr der schwarz-gelben Koalition um eine zweite Chance - für das Ansehen ihrer Regierung, ihrer Partei und ihr eigenes als Kanzlerin.

Am heutigen Montag nimmt der Bundestag nach der Sommerpause seine parlamentarische Arbeit auf. Die Kanzlerin regiert schon seit vier Wochen wieder in Berlin, in diesem knappen Monat hat sie einiges getan, um die alten Vorwürfe von Führungsschwäche und mangelndem Profil vergessen zu machen.

Zunächst gab sie offen zu, dass Schwarz-Gelb die Erwartungen der Deutschen im ersten Regierungsjahr "nicht erfüllt" hat. Und Merkel kündigte "wesentliche Weichenstellungen" im Herbst an, an denen sie sich messen lassen werde. Bei der Sanierung des Haushalts, in der Energiepolitik, bei der Neuregelung der Hartz-IV-Sätze, den Reformen von Gesundheitssystem und Bundeswehr.

Gleich am ersten Arbeitstag nach dem Urlaub deckelte sie ihren Stellvertreter, FDP-Chef Guido Westerwelle, und dessen erneute Vorschläge zu Steuersenkungen deutlich wie nie: "Das ist jetzt nicht Regierungshandeln." Drei Wochen später war das Konzept zur Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke fertig. Und es wird nicht mehr lange dauern, da wird auch die in der Bundeswehr-Realität schon vollzogene Aussetzung der Wehrpflicht offizielle Regierungspolitik werden. Dass es zu all diesen Themen heftige Diskussionen zwischen den Parteien und in der Wählerschaft gibt und weiter geben wird, bedeutet keine Führungsschwäche Merkels.

Große gesellschaftliche Themen werden nur durch Streit und ausführliche Debatten bewältigt, so funktioniert Demokratie. Aufgabe der Regierung ist es dabei, einen Lösungsweg vorzuschlagen und ihn zu beschreiten.

Auch ganz persönlich hat die Bundeskanzlerin in den vergangenen vier Wochen eine gute Figur gemacht. Etwa, als sie den Mohammed-Karikaturisten Westergaard auszeichnete. Und vor allem, als sie klar Position gegen den schriftstellernden Bundesbanker Sarrazin ergriff. Merkel hatte als Erste erkannt, dass dessen Thesen zu Islam und Vererbbarkeit von Intelligenz nicht zum internationalen Auftritt der Bundesbank passten und damit das Ansehen Deutschlands gefährdeten.

Schon einmal, im Februar letzten Jahres, hat Merkel übrigens ihre Pflicht als Bundeskanzlerin über wahltaktischen Überlegungen als CDU-Chefin gestellt.

In Zusammenhang mit der Rehabilitierung eines Holocaust-Leugners kritisierte sie damals den deutschen Papst und erntete dafür Grummeln aus dem katholischen CDU-Lager. Geschadet hat ihr das nicht, im September gewann sie die Bundestagswahl.

Genauso wenig wird ihr das Votum für das Ausscheiden Sarrazins aus der Bundesbank schaden. In ihrem Kabinett hat Merkel ja schon erlebt, wie Provokationen aus der Abteilung "Man wird ja wohl noch sagen dürfen ..." auf ihren Urheber zurückfallen, wenn sie sich nicht mit dessen Amt vertragen. Außenminister Westerwelle behauptete bei seinen Attacken gegen Teile des Sozialsystems ("spätrömische Dekadenz") auch, das ganze Volk hinter sich zu haben. Doch seitdem dümpelt die FDP in den Umfragen um die Fünf-Prozent-Marke herum.

Vielleicht war es dieser unbedachte Ausflug in den Populismus, der Westerwelle "irreparabel beschädigt" hat, wie es Umweltminister Röttgen kürzlich formulierte. Wenn das so ist, muss Merkel bei ihrem neuen Kampf vor allem ihre Partei und deren Wahlaussichten unabhängig von Koalitionsfestlegungen im Auge haben. Wenn sie die Regierung entschlossen führt, werden die Personal- und Richtungsdiskussionen innerhalb der CDU abebben. Einige der neuen Ministerpräsidenten (Ahlhaus, Mappus, McAllister) stärken eher den "rechten" Flügel, was für die Balance der Partei gut ist.

Allerdings: Wahlen werden weiterhin in der Mitte gewonnen, und eine neue ernst zu nehmende Partei am rechten Rand wird es nicht geben.

Merkels Kampf um die zweite Chance ist also nicht aussichtslos. Er ist noch lange nicht gewonnen. Aber auch nicht verloren.