Prof. Georg Schottmayer, 85, Hamburger Pädagoge, Autor des Buches: “Umgang mit Gewalt“ (erscheint Herbst 2010)

1. Hamburger Abendblatt:

An diesem Wochenende gibt es wieder das nicht genehmigte Schanzenfest. Kaum einer rechnet damit, dass es danach friedlich bleibt. Was sind das für Leute, die kommen, um Steine zu werfen?

Georg Schottmayer:

Es sind Menschen, die meist familiäre Erfahrungen von ungenügender Zuwendung oder Gewalt gemacht haben. Menschen, die sich minderwertig und nicht ernst genommen fühlen und nach Bestätigung suchen.

2. Sollten Veranstaltungen wie das Schanzenfest nicht besser verboten werden, um diese Leute davon abzuhalten, Straftaten zu begehen?

Nein, das bringt nichts. Ganz im Gegenteil. Die Gesellschaft hat Spaß an der eigentlichen Veranstaltung. Wenn sie unterbunden wird, ist das ein riesiges Erfolgserlebnis für die wenigen Leute, die sie zur Gewalt nutzen.

3. Diese Leute werden gern "erlebnisorientierte Jugendliche" genannt. Was halten Sie davon?

Nicht viel. Das ist ein sehr oberflächlicher Begriff. Es geht ja nicht um ein Erlebnis, sondern darum, ernst genommen zu werden. Sie wollen sich auch mal wichtig und mächtig fühlen. Das bringt sie nicht selten in einen Teufelskreis aus Gewalt und Stigmatisierung.

4. Die Polizei scheint das liebste Feindbild junger Krawallmacher zu sein. Wie kommt das?

Das ist eine Folge der dauernden Konfrontation. Die Polizei kann immer nur die Symptome behandeln, nie die Ursache des Problems, das diese Jugendlichen haben. Dazu wäre eine neue Präventivkultur notwendig. Coolness-Training, Einbindung in gesellschaftliche Prozesse und Projekte, frühe Förderung und Forderung, die Vermittlung von Lebenskompetenz, Gemeinsinn, Solidarität und Zivilcourage. Wegsperren hilft nichts. Schafft man keine Präventivkultur, bleibt es bei den Gewaltexzessen.

5. Aufständische Jugendliche hat es doch schon immer gegeben. Woher rührt diese neue Qualität der Gewalt?

Die Gründe für jugendliche Gewalt sind seit mehr als 100 Jahren bekannt. Wer am Rand steht, der steht auf verlorenem Posten. Das gilt heute wohl noch mehr als in der Vergangenheit. Um so wichtiger ist es, auf die Menschen, die am Rande stehen, zuzugehen und sie mit in die Gesellschaft einzubeziehen. Das Wort Prävention kommt aus dem Lateinischen und bedeutet so viel wie "zuvorkommen" und "vereiteln". Nur Präventivkultur verhindert Gewalt. Dazu gehört auch, dass alle die eine Chance haben müssen, in den Besitz von materiellen, sozialen und bildungsmäßigen Ressourcen zu gelangen und Lebensqualität zu erreichen. Und eines ist noch wichtig: Die Jugendgewalt in Hamburg hat nicht zugenommen. Die Gruppe der Täter macht einen sehr kleinen Anteil der Jugendlichen aus.