Morgen beginnt die Apfelernte. Nach jahrzehntelangem Kampf haben Obstbauern wie Reinhard Quast jetzt wieder eine Perspektive.

Hamburg. Reinhard Quast, 49, steht oben auf dem Deich in Neuenfelde. Vierzigstücken heißt die Straße, die seine Obstanbauflächen teilt. Er zeigt mit dem Arm nach rechts rüber. In 400 Meter Länge stehen hier die Apfelbäume in Reih und Glied. Und ganz hinten am Ende beginnen die Bauarbeiten für die Ortsumgehung Finkenwerder , von allen hier nur kurz "OFI" genannt. Blick nach links. Hinter seinem Hof strecken sich die Felder auf zwei Kilometer Länge und 80 Meter Breite. Am hinteren Ende wird irgendwann die Autobahn seine Anbauflächen begrenzen. Reinhard Quast ist sozusagen umzingelt. Eine Ortsumgehung mit täglich 13.000 Autos im Norden, die A 26 im Süden. Er sieht nicht wirklich unglücklich aus.

Der Obstbauer aus dem Alten Land erwartet eine gute Ernte. Morgen beginnt südlich der Elbe ganz offiziell die Apfelernte, doch seine süßen Früchte brauchen noch ein paar Tage. "Durch den längeren Winter hatten wir ein späteres Frühjahr", sagt er. Deshalb die Zeitverzögerung. Der verregnete August macht ihm indes keine Sorge. "Es gab ja im Sommer auch genügend sonnige Stunden."

In den nächsten Tagen werden zehn bis zwölf Saisonarbeiter aus Polen und Rumänien auf den Hof kommen und bis Ende Oktober oder sogar Anfang November die Äpfel von den Bäumen pflücken. Sieben Tage in der Woche, elf Stunden pro Tag, von morgens um 7 bis abends um 18 Uhr. "Harte körperliche Arbeit", sagt Quast. Aber andere Leute gingen dafür ins Fitness-Center und bezahlten auch noch Geld. Es gebe halt während der Erntezeit keine Alternative, denn "die Früchte warten nicht auf Leute mit der Stechuhr".

Welche Mengen da bewältigt werden müssen, kann man sich vorstellen, wenn Quast vorrechnet, dass auf seinen insgesamt rund 20 Hektar großen Anbauflächen etwa 60 000 Bäume abgeerntet werden müssen. Kräftig bestückt mit nahezu reifen Früchten. Die Hauptsorten heißen Elstar und Jonagold, dazu kommen noch Holsteiner Cox, Boskoop und Breaburn, eine vergleichsweise neue Sorte, die ursprünglich aus Neuseeland stammt.

Mit 340.000 Tonnen erzielten die Obstbauern 2009 eine Rekordernte. Quast schätzt, dass es in diesem Jahr zehn bis 20 Prozent weniger sein werden. Dass hier aber überhaupt noch Obst geerntet werden kann, ist das Ergebnis eines jahrzehntelangen Kampfes. Und Reinhard Quast, der den Hof vor 20 Jahren von seinem Vater übernommen hat, war von Anfang an ganz vorne mit dabei.

Vor genau zehn Jahren waren die Obstbauern in Francop und Neuenfelde auf der Palme. Damals hatte sich der Hamburger Senat für den Bau einer südlichen Ortsumgehung von Finkenwerder entschieden, aber niemand hatte es für nötig gehalten, mit den Betroffenen zu sprechen. "Das Planungsverfahren beginnt sofort. Bis 2005 oder 2006 soll die Straße fertig sein", verkündete der damalige Senator Eugen Wagner (SPD) im Juni 2000.

Was folgte, waren jahrelange Verhandlungen über mögliche Trassenführungen und juristische Auseinandersetzungen, ein gerichtlich verhängter Baustopp im Jahr 2005 und die Wiederaufnahme der Gespräche. "Wir haben sehr hart verhandelt", sagt Quast, "und manchmal haben wir auch aufgehört, weil wir dachten, es hat jetzt wirklich keinen Zweck mehr." Da war die Wut der Obstbauern, von der Gegenseite nicht ernst genommen zu werden. Und gleichzeitig der Wille, ihr Land - und damit ihre Existenz - nicht aufzugeben. Und wenn man so will, erntet Reinhard Quast jetzt die Früchte des Zorns. Er hat im Norden 3400 und im Süden 17.000 Quadratmeter seiner Betriebsfläche an die Stadt verkauft, deren Entscheider irgendwann eingesehen haben, dass es statt möglicher Enteignungen besser ist, in Gesprächen eine Lösung zu suchen. "Entscheidend war, dass die gemerkt haben: Wenn es eine gemeinsame Betroffenheit gibt, gibt es auch eine Einigkeit", sagt Quast, der auch im Vorstand des Bauernverbandes sitzt. Und so gab es schließlich nach mühevollen Auseinandersetzungen eine Einigung mit rund 40 Obstbauern, die in dem mit 42 Millionen Euro ausgestatteten Süderelbefonds mündete.

"Etwa die Hälfte der Summe ist für den Ankauf der Flächen ausgegeben worden, die andere Hälfte für wasserwirtschaftliche Maßnahmen", sagt Rolf Semrok, 60. Der Projektleiter der Realisierungsgesellschaft, die auch für die Elbphilharmonie zuständig ist, koordiniert die Baumaßnahmen, hält den Kontakt zu den Obstbauern und sagt: "Das A und O ist der Erhalt der Funktionalität während der Bauarbeiten." Semrok sagt, dass am 1. August 2012 das erste Auto über die Ortsumgehung Finkenwerder fahren wird.

Da das Mühlenberger Loch mehr und mehr versickert und somit zunehmend als Wasserversorger für die Obstbäume ausfällt, war die große Herausforderung: Wie bewässere ich ein rund 800 Hektar großes Verbundgebiet? Denn nur ein dichtes Netz von Beregnungsanlagen sorgt für den optimalen Frostschutz der Bäume, um die Blütenfröste im Winter abzuwehren.

Also werden jetzt für rund 20 Millionen Euro neue Gräben und insgesamt 48 Beregnungsteiche angelegt, es gibt eine Verbindung zur Alten Süderelbe, und ein Großteil der zur Verfügung gestellten Ersatzgrundstücke, die bislang noch nicht obstbaulich genutzt wurden, wird jetzt wasserwirtschaftlich erschlossen.

"Das Wichtigste jedoch war, dass man uns eine Perspektive aufgezeigt hat", sagt Quast. Denn natürlich war da immer die Angst, dass die Stadt mit dem Obstanbaugebiet im Alten Land ganz andere Pläne verfolgt. Dass sie nun teilweise die Reprivatisierung von städtischen Grundstücken in dem umkämpften Gebiet erstritten haben, werten die Landwirte als "klares Bekenntnis Hamburgs zum Bestand des Alten Landes".

Und wie zum Beweis des erfolgreichen Widerstandes kann Obstbauer Quast in diesen Tagen sehen, dass die geleistete Arbeit auch wirklich Früchte trägt.