Gunda Eggers arbeitet im Hamburger Verlagshaus - wie schon ihr Vater und ihr Großvater. Sie blicken auf 62 Jahre Zugehörigkeit zu dem Verlag.

Hamburg/Ahrensburg. Wenn "Papi" nach Hause kommt, sind die Kollegen prompt zur Stelle. Mag sein, dass Gerhard Schießl vor 16 Jahren seinen letzten Arbeitstag in der Ahrensburger Druckerei hatte. Aber für die Kollegen ist es so, als ob Papi nicht einen Tag fort gewesen ist. "Moin, Papi", ruft ein Schlosser im Vorbeigehen. Der 76-Jährige lächelt warm zurück, seine Tochter Gunda, 46, horcht auf - Papi?

So haben ihn die Kollegen genannt. Damals, als er noch in Ahrensburg dafür sorgte, dass Springer-Leser zwischen Hamburg und Konstanz zum Frühstück "Bild", Abendblatt oder "die Welt" auf dem Tisch hatten. Hatte ein Kollege Probleme, nahm Papi ihn schon mal tröstend in den Arm. Nun steht Schießl vor dem Schaltpult einer stählernen "Color-Man". Zehn Jahre waren der riesige Apparat und er ein Team. Eine Druckmaschine, so hoch wie ein Haus mit drei Stockwerken. Damals ratterten Abertausende Zeitungen im aberwitzigen Tempo über seinen Kopf hinweg. Nun ist sie verstummt, zumindest vorläufig übernehmen die moderneren Anlagen den Job.

Szenenwechsel: In ihrem Büro im achten Stock des Springer-Altbaus sitzt Gunda Eggers, Mitarbeiterin in der Personalabteilung, durch ihre Hände gehen Mitarbeiterbewertungen, Zeugnisse, Arbeitsverträge. Gunda Eggers ist die Tochter von Gerhard Schießl - und arbeitet schon seit 29 Jahren für den Verlag Axel Springer. Exakt so lange wie ihr Vater, als er 1994 in Rente ging.

Nicht nur das: Addiert man die vier Jahre, die Gerhard Schießls Vater Georg im Springer-Verlag als Setzer gearbeitet hat, blicken sogar drei Generationen der Familie Schießl auf zusammen 62 Jahre Verlagszugehörigkeit.

Das Debüt bei Springer gibt Gerhard Schießl, gelernter Buchdrucker, 1965. In der Druckerei, im 1956 fertiggestellten Hauptgebäude untergebracht, ist nach den stürmischen Gründerjahren längst Routine eingekehrt. Der damals 30-Jährige arbeitet mit acht anderen Druckern an einer "Wood & Alberts"-Presse aus Übersee. Fast zeitgleich heuert sein Vater Georg Schießl bei Springer an. Der Senior, gebürtiger Oberpfälzer, arbeitet als Setzer im dritten Obergeschoss, während Junior im Erdgeschoss die Druckplatten von "Bild", Abendblatt und "Welt" in die Maschine einspannt. Ein Job, der an die Substanz geht. "Knüppelhart war das", erinnert sich Schießl.

Gerade vor den Wochenenden, wenn die Zeitungen besonders umfangreich sind. "Da mussten wir schon mal bis zu 48 Druckplatten aus Blei, jede 20 Kilo schwer, von der Plattenbahn zur Maschine und zurück schleppen", sagt er. Doch an der Maschine gilt die Maxime: zusammenhalten. Einer für alle, alle für einen. Wie eine Familie, sagt Schießl, so habe sich das damals angefühlt. "Die da oben" hätten "denen da unten" nie das Gefühl vermittelt, nur ein "kleines Schräubchen im Getriebe" zu sein. "Das zeigte sich auch daran, dass Axel Springer unsere Betriebsfeiern besucht und jedem die Hand geschüttelt hat. Das war selbstverständlich."

Es ist auch das menschliche Klima im Haus, das Gunda Eggers immer wieder bestätigt, dass ihre Entscheidung richtig war, sich 1981 beim Axel Springer Verlag zu bewerben. Vom Opa und dem Vater hat sie viel Gutes über den Verlag gehört. Lehrstellen sind knapp, und Angehörige von Springer-Angestellten haben leichte Vorteile im Wettbewerb um die Lehrstellen - da fällt die Entscheidung nicht schwer. Ob es bald die vierte Generation bei Springer gibt, ist aber fraglich: Tochter Julia, 15, ist fest entschlossen, Kieferorthopädin zu werden.

Ihre Mutter arbeitet nach der Ausbildung zur Bürokauffrau bei "Journal für die Frau" im Vertrieb, beim Hamburger Abendblatt, in der Anzeigenabteilung bei "Bild" und seit 1992 in der Personalabteilung. Drei Jahre arbeiten ihr Vater und sie im Verlagshaus, dann lagert Springer 1984 die Druckerei aus - in Ahrensburg entsteht die modernste Offset-Druckerei Europas. Schießls Vater Georg ist schon lange zuvor in Rente gegangen.

Gerhard Schießl folgt ihm 1994 nach. Ein Abschied mit Wehmut, sagt er. Seitdem kümmere er sich mit Hingabe um den heimischen Garten in Öjendorf. Drucktechnik ist noch immer das Steckenpferd des Seniors. Manchmal reicht ihm aber auch ein Blick in die Zeitung. "Die Druckqualität hat sich wirklich deutlich verbessert", sagt er.

Morgen, beim Seniorentreff des Verlages, können die Kämpen wieder über die alten Zeiten klönen. Vielleicht wird Gerhard Schießl erzählen, dass er beim Besuch in Ahrensburg eine Linotype entdeckt hat. Schwer und schwarz steht die Setzmaschine im Foyer, davor eine der Druckplatten aus der Zeit, als die Zeitung von Handsetzern wie Georg Schießl noch Spalte für Spalte zusammengesetzt und von Leuten wie Gerhard Schießl gedruckt wurde. "Wenn ich die Platte sehe", sagt er lächelnd, "kriege ich heute noch Rückenschmerzen."