Ein cleverer Gauner räumt in aller Ruhe die Ladenkasse leer, und wenn der Verlust auffällt, stellt er sich mitten ins Getümmel, deutet mit dem Finger weit von sich und schreit: "Haltet den Dieb!"

Der alte Ganoventrick hatte in den letzten Tagen in der deutschen Politik viele Nachahmer. Vertreter aller Parteien, Gewerkschafter, Verbandsfunktionäre empörten sich über die menschenverachtenden Thesen von Thilo Sarrazin und die Marketing-Inszenierung für sein neues Buch. Sie alle, bis hinauf zur Kanzlerin, beklagten sich darüber, wie sehr der Bundesbank-Vorstand Sarrazin dem Ansehen der Institution Bundesbank und damit dem Ansehen Deutschlands in der Welt schade. Und sie alle zeigten mit dem Finger auf Bankchef Axel Weber und riefen: Handeln Sie! Ziehen Sie Konsequenzen! Werfen Sie Sarrazin endlich raus!

Als hätte Weber Sarrazin in die Bank geholt oder hätte Mitverantwortung für dessen Provokationen! Das Gegenteil trifft zu: Weber und die Bundesbank sind im Fall Sarrazin nicht Komplizen, sondern Opfer. Opfer eines schamlosen parteiübergreifenden Klüngels, der seit Jahrzehnten Politiker mit Vorstandsposten bei der Zentralbank versorgt.

Dass die SPD sich mit ihrem Mitglied Sarrazin jetzt auf besonders peinliche Weise abmühen muss, ist in diesem Zusammenhang nur eine gerechte Strafe. Denn die SPD war es, die Sarrazin vor zwei Jahren aus dem Amt des Berliner Finanzsenators, in dem er nicht mehr zu halten war, in den Bundesbank-Vorstand gehievt hatte. Dort bekam der heute 65-Jährige einen Vertrag bis 2014.

Sarrazins Nominierung ist der zweite Volltreffer der Sozialdemokraten gegen die Reputation der deutschen Zentralbank. Auch der frühere Bankchef Ernst Welteke, der sich samt Familie zur Feier der Euro-Einführung für 7500 Euro ins Hotel Adlon einladen ließ und wegen dieser Affäre 2004 zurücktreten musste, entstammt der SPD-Talentschmiede für Politiker mit Management-Potenzial.

Die Bundesbank hat sechs Vorstandsmitglieder, die reihum vom Bundesrat, also von den Länderregierungen, und von der Bundesregierung benannt werden. Nach der Welteke-Blamage kam mit Weber ein Bank-Fachmann ohne Politik-Stallgeruch an die Spitze. Doch danach ging der Polit-Klüngel wie gehabt weiter. Mit Sarrazin und zuletzt im Mai 2010 mit der Nominierung des stellvertretenden Vorsitzenden der FDP-Bundestagsfraktion, Carl-LudwigThiele. Die Bundesbank werde zur "Resterampe der Politik", kritisierte die "Süddeutsche Zeitung" aus diesem Anlass. Sitzen die Polit-Banker erst mal im Vorstand, sind sie dort kaum noch wegzukriegen. Mit einer scheinheiligen Begründung: So solle ihre "Unabhängigkeit" als Wächter der Währung und des deutschen Bankwesens nicht durch politisch motivierte Entscheidungen gefährdet werden. Diese Hürde im Gesetz machte Axel Weber schon Ende 2009 zu schaffen, als Sarrazin kurz nach Amtsantritt in einem Interview über Hartz-IV-Empfänger herzog. Der Bundesbank-Vorstand behalf sich so: Er entzog Sarrazin die Zuständigkeit für das Bargeld in Deutschland und beließ ihm die bankinternen Aufgaben Informationstechnologie, Risiko-Controlling und Revision.

Sarrazin ist also ein besserer Abteilungsleiter mit einem Vorstandsgehalt von deutlich über 200 000 Euro. Er sitzt in einem Vorstand, in den man meist durch politische Protektion gelangt - und das in einer Bank, deren Größe viele Kritiker seit der Abschaffung der D-Mark ohnehin für völlig überzogen halten.

Der Buchautor Sarrazin mit seinem Hang zu provozierenden Formulierungen würde diese mangelnde moralische Legitimation des Bankvorstands Sarrazin vielleicht so beschreiben: Jeder türkische Gemüsehändler kann größeren Stolz über seinen Beitrag zum deutschen Wirtschaftsaufkommen empfinden als der Bundesbanker Sarrazin, und jeder arbeitsscheue Hartz-IV-Empfänger zockt weniger Staatsknete ab als der selbst ernannte Großinquisitor des Sozial- und Staatswesens.

Er habe "keine dienstlichen Obliegenheiten verletzt" erklärte Sarrazin gestern stur. So stehen seine Vorstands-Kollegen vor einem Dilemma: Entweder sie nehmen die Rufschädigung durch Sarrazin weiter in Kauf oder sie tragen den Fall an Bundespräsident Wulff heran. Er ist der Einzige, der Sarrazin entlassen kann. Diese Entscheidung fällen zu müssen wäre eine Zumutung für das Staatsoberhaupt. Eingebrockt hätten ihm das die politischen Posten-Klüngler. Die allerdings sollten jetzt wirklich ausgespielt haben.