Judith und Sönke Roever sind einmal um die Welt gesegelt. Nach 1200 Tagen kehrten sie zurück - bejubelt von knapp 1000 Zuschauern

Neustadt. Sie drängen sich auf über 20 Booten und den schmalen Schwimmstegen. Nebenan auf dem Feuerschiff ist jeder Platz mit Sicht zum Wasser besetzt. Auf der Brücke, die das Festland mit dem City-Sporthafen verbindet, geht nichts mehr. Selbst oben an den Landungsbrücken stehen die Zuschauer dicht an dicht. Es sind Junge und Alte, Kleine und Große. Einige tragen Segelschuhe, andere Stilettos.

Viele sind Freunde und Verwandte von Judith und Sönke Roever, aber die meisten haben die beiden nie gesehen. Sie hat die Geschichte des jungen Paares hierhergelockt. Denn die beiden haben das getan, wovon so viele träumen - es sich aber nicht trauen. Und deshalb sind sie heute aus ganz Deutschland gekommen, um wenigstens ein bisschen von diesem Gefühl mitzunehmen. Diesem Gefühl der absoluten Freiheit.

Als die beiden Weltumsegler mit ihrer " Hippopotamus " am Sonnabend kurz nach 16.30 Uhr in den Hafen einlaufen, bricht Jubel aus. Hörner und Tröten begrüßen die Heimkehrer, andere klatschen. Da ist es, das Gefühl. Die Mischung aus Sehnsucht, Rührung und Bewunderung, die in vielen Gesichtern zu lesen ist.

Für Judith und Sönke Roever ist es die Rückkehr in eine fremde Welt. Sie kennen Twitter, Facebook und das iPhone bisher nur aus Erzählungen. Die Bundestagswahl 2009 haben sie genauso verpasst wie Wirtschafts- und Finanzkrise, den harten Winter oder das Erdbeben auf Haiti. "Wir sind quasi auf dem Stand von vor drei Jahren stehen geblieben", sagen sie.

Kein Wunder, schließlich haben sie in dieser Zeit so viele andere Dinge erlebt. Dinge, die sich die Daheimgebliebenen nur schwer vorstellen können. Wie die Atlantiküberquerung von den Kanaren in die Karibik, bei der sie 18 Tage ununterbrochen auf See waren. Oder der Besuch auf den abgelegenen San-Blas-Inseln vor Panama, die nur per Schiff oder Flugzeug zu erreichen sind. Die schönsten Strände fanden sie auf den Kokosinseln im Indischen Ozean.

Am eindrücklichsten waren aber die Tage bei den Ureinwohnern des Dörfchens Asubuo auf der abgelegenen Insel Utupua in der Südsee. "Hier kommen nur ganz selten andere Menschen her, deshalb waren wir eine Attraktion", sagt Judith Roever, die von der Sonne und dem Wind braun gebrannt ist. Schon bei der Ankunft wurden sie mit einem Fest empfangen, bekamen Blumenkränze umgehängt. "Wir wurden beschenkt, dabei war schnell klar, den Menschen fehlt es an den einfachsten Dingen." Also gaben die beiden den Dorfbewohnern alles, was sie entbehren konnten. Lebensmittel wie Reis, Zucker, Mehl, aber auch Kabel, Batterien, Stifte, Papier, Sonnenbrillen oder Taucherbrillen. "Selbst Plastikflaschen waren als Transportmittel für Wasser sehr gefragt." Der 35-jährige studierte Betriebswirt reparierte die Funkstation des Dorfes und half mit seinem Werkzeug aus. Seine Frau unterrichtete die Bewohner in medizinischen Fragen und leerte die Bordapotheke.

Der Besuch auf Asubuo war so eindrücklich, dass die Roevers nach der Abreise eine Spendenaktion ins Leben riefen. Seit ihrem Besuch im Sommer 2009 haben sie mit Hilfe anderer Weltumsegler Baumaterialien und Werkzeuge auf die Insel bringen können. In wenigen Tagen kommt eine neue Lieferung bei den Dorfbewohnern an. "Wir hoffen, dass wir auch weiter diesen wunderbaren Menschen helfen können."

Die Reise des Hamburger Paares war ursprünglich ganz anders geplant. Denn eigentlich wollten die Roevers nur ans andere Ende der Welt nach Neuseeland segeln. Einmal noch wollten die beiden hinaus, bevor sie endgültig sesshaft werden. "Und diesen Ausstieg wollten wir nutzen, um zu erfahren, wie groß die Welt wirklich ist." So entstand der Plan, mit dem Schiff an einen Ort zu fahren, der genau am anderen Ende des Globus ist. Und nur mit dem Schiff konnten sie ein Gefühl für die große Distanz bekommen. In Neuseeland wollten sie die "Hippopotamus" dann verkaufen und zurückfliegen.

Diese Traumreise planten die Hamburger 2007 innerhalb weniger Monate. Sie kündigten die Wohnung, verkauften das Auto und lagerten die Möbel ein. Judith Roever, die als Apothekerin in einem Pharmaunternehmen arbeitete, ließ sich freistellen. Der selbstständige Projektmanager Sönke Roever informierte seine Kunden von der Reise. Am 17. Mai 2007 nahmen sie Abschied von Freunden und ihrer Familie und warfen die Leinen in Hamburg los.

Doch kurz vor dem eigentlichen Ende der Reise im Winter 2008/2009 entschieden sie dann, die ganze Welt zu umrunden. "Wir hatten unser Schiff lieb gewonnen und wollten es nicht mehr hergeben." Zudem hatten sie weniger Geld verbraucht als geplant. Als dann auch noch der Arbeitgeber der 33-jährigen Judith Roever zustimmte, war die Entscheidung gefallen. Und so wurden aus zwei Jahren insgesamt mehr als drei Jahre oder genau 1200 Tage auf See.

Im Gespräch mit den Seglern wird schnell klar, schon jetzt überwiegen die positiven Eindrücke der Reise. Wir haben nur wenig Schlechtes erlebt, sind sie sich einig. Ein bisschen Heimweh, das kam schon hin und wieder. "Aber wir hatten ja das Glück, unser Zuhause immer bei uns zu haben", sagen sie. "Wenn es uns schlecht ging, konnten wir uns unter Deck zurückziehen." Ihre "Hippopotamus" war ihr Rückzugsort.

Einen gefährlichen Moment gab es allerdings. Bei der Einfahrt in eine enge Bucht vor der Küste von Südafrika im Januar überraschte eine riesige Welle die erfahrenen Segler. Sie brach über dem Cockpit des Schiffes, riss ihnen das Steuer aus den Händen. Die Yacht schlug innerhalb von Sekunden quer und kenterte. "Ich konnte nur noch schreien: 'Festhalten!', dann war es schon vorbei und das Schiff richtete sich wieder auf", sagt Sönke Roever. Der erste Blick habe seiner Frau gegolten, die nicht verletzt worden sei. "Wir hatten unglaubliches Glück", sagen beide. Nur der Schaden am Schiff sei groß gewesen. "Die gesamte Elektrik war zerstört."

Mittlerweile ist die "Hippopotamus" repariert. Als sie in den Hamburger Hafen einläuft, sieht man ihr nicht an, dass sie rund 35 000 Seemeilen (eine Meile gleich 1,852 Kilometer) hinter sich hat. Nur die Kanister an der Reling und die Solarzellen verraten, dass es keine gewöhnliche Yacht ist. Das 26 Jahre alte Schiff, das sie für die Reise angeschafft und umgebaut hatten, hat die Segler sicher zurückgebracht.

Die Enge auf der mit ihren guten zehn Metern verhältnismäßig kleinen Yacht hat die beiden nie gestört, im Gegenteil. "Wir haben es als Geschenk empfunden, jeden Tag von morgens bis abends gemeinsam zu erleben", sagen sie. "Welches Ehepaar hat schon die Chance, so eng und intensiv zusammen zu sein." Natürlich, den einen oder anderen kleinen Streit habe es gegeben. "Mehr aber auch nicht." Nie sei dabei etwa die Reise infrage gestellt worden.

Und so macht die bevorstehende Trennung im Arbeitsalltag Judith und Sönke Roever derzeit auch die größten Sorgen beim Wiedereinstieg in das Leben in Hamburg. "Wir sind das ja gar nicht mehr gewöhnt", sagen sie. Bis dahin bleiben den beiden aber noch einige Eingewöhnungswochen. Nun heißt es Wiedersehen feiern. Die neue Wohnung einrichten, ein Auto kaufen. Am 1. Oktober wird die Apothekerin zum ersten Mal wieder in die Firma fahren. Roever hingegen will ein Buch über die Weltumsegelung schreiben. Und dann mit einer Diashow von der Reise berichten.

Die beiden scheinen zu schaffen, was vielen Aussteigern nicht gelingt. Der Spagat zwischen Lebenstraum und Arbeitswirklichkeit. Denn auch wenn die Reise länger wurde als geplant, so haben sie doch von Anfang nichts dem Zufall überlassen. Diese Reise endlos in die Länge zu ziehen, das kam für die beiden nicht infrage. Dennoch, einige Monate werden sie brauchen, bis sie sich an das schlechte Wetter und den Arbeitsalltag gewöhnt haben. "Als allererstes brauche ich aber ein vernünftiges Handy", sagt Sönke Roever und hält sein bestimmt sechs Jahre altes Nokia-Modell in die Höhe. "Damit wir in der modernen Welt auch wirklich ankommen."