Der Hamburger Pianohersteller Steinway setzt verstärkt auf Asien. Der Umsatz steigt. Auch preiswertere Klaviere sind im Sortiment.

Hamburg. Wenn Werner Husmann sich etwas wünschen dürfte, dann gäbe es mehr Chinesen auf der Welt. Husmann arbeitet seit mehr als 40 Jahren bei dem Hamburger Flügelbauer Steinway. Der humorvolle Hanseat kann nicht nur jedes der 12 000 Einzelteile benennen, aus denen die Klangkunstwerke in einer verschachtelten Fabrik in Bahrenfeld entstehen. Der 60-Jährige ist auch Marketingchef bei Steinway und weiß, dass nur die Nachfrage der riesigen, bildungsbeflissenen Volksrepublik dem Unternehmen das Überleben sichern kann.

Und selbst wenn Husmann selber kein Klavier spielt und sich stattdessen früher in einer Blankeneser Rockband austobte: Seine Augen leuchten, als er von dem Pianisten Lang Lang spricht, eine "Lichtgestalt" für ihn. Wiederum ein Chinese. Einer, der Millionen junger Fans begeistert. "Wir brauchen solche Stars." Gerade in computervernarrten Zeiten. Und Husmann geht sogar noch weiter: Diese Idole bewahrten das Klavier vor dem Museum.

Husmann hatte in den vergangenen Monaten viel Zeit und Veranlassung, über die Zukunft und die Existenznöte seiner Branche nachzudenken. Während der Krise gingen die Verkäufe etlicher Pianohersteller um die Hälfte zurück. Allein die deutschen Fabriken hatten noch im vergangenen Jahr mit einem Absatzeinbruch von 40 Prozent zu kämpfen. Die renommierte Marke Wilhelm Schimmel aus Niedersachsen musste Insolvenz anmelden. Der Berliner Konkurrent C. Bechstein war auf eine Kapitalerhöhung angewiesen. Die Leipziger Pianoforte verschwand komplett vom Markt. Es ist ein Sterben auf Raten: Von den mehreren Hundert Pianofabriken, die im 19. Jahrhundert das deutsche Bildungsbürgertum versorgten, war schon bis Ausbruch der Krise nur noch ein Dutzend übrig.

"Wir mussten um 30 Mitarbeiter reduzieren und Kurzarbeit anmelden", schildert Husmann die Situation bei Steinway in Hamburg, die etwa 90 Flügel und 20 Klaviere im Monat herstellen. Die Gruppe hat zudem seit Neuestem den koreanischen Klavierbauer Samick Musical Instruments als Großaktionär im Haus.

Allerdings ist der Absatz bei der Edelmarke nach eigenen Angaben weniger stark als in der Branche zurückgegangen. Er reduzierte sich 2009 um ein Fünftel auf 238 Millionen Euro. Gewinne erwirtschaftete Steinway im vergangenen Jahr anders als viele Wettbewerber auch noch. "Wir sind schon seit Jahrzehnten auf internationalen Märkten präsent. Wenn es in einem Land schlecht läuft, wie zuletzt in den USA, können wir den Einbruch in anderen Regionen, etwa im Nahen Osten, abfangen", erklärt der Manager die glimpfliche Lage bei dem Hamburger Flügelspezialisten, der jetzt noch 350 Mitarbeiter in der Hansestadt beschäftigt und weitere 400 in New York, wo Steinway seine Flügel und Klaviere für den amerikanischen Kontinent herstellt. Die Krise, die in den USA ihren Anfang nahm und die ganze Welt überzog, offenbarte gerade für die Klavierbranche die Stärke Chinas. "Das Land schätzt kaum etwas so sehr wie Bildung", sagt Husmann, der sich für Steinway zum Kenner der asiatischen Wirtschaftsmacht entwickelt hat. Allein das Konservatorium in Peking, übrigens der Ort, wo Lang Lang bereits mit drei Jahren erste Fingerübungen am Flügel machte, bestellt schon mal 120 Tasteninstrumente in kurzer Zeit. "Und die haben nur Steinway-Klaviere", freut sich Husmann. Chinesische Institutionen im ganzen Land werden von der Zentralregierung mit genügend Geld für solche Anschaffungen ausgestattet. Auch die Mittelschicht mit Millionen Chinesen tut alles, um dem oftmals einzigen Kind den Weg in eine glänzende Zukunft zu ebnen. Und da gehört Klavierspielen in den meisten Familien eben zum guten Ton.

Natürlich legen auch die ehrgeizigen Chinesen nicht ohne Probleme umgerechnet 54 370 Euro für den kleinsten Steinway-Flügel auf den Ladentisch. Darauf aber hat sich die Marke bereits eingestellt. Sie steht nicht mehr nur für das 120 000 Euro teure Flaggschiff, das bei 90 Prozent aller Konzertpianisten Standard ist. Unter den Markennamen Boston und Essex lässt Steinway in Japan und China auch ein günstigeres Sortiment produzieren. Die Klaviere werden nach ähnlichen Konstruktionsplänen wie ein Steinway gebaut. Ein Boston-Klavier ist ab 9430 Euro zu haben, die Instrumente der Marke Essex sogar schon für 4670 Euro. Steinway lastet mit der Billigschiene seine 70 Exklusivhändler besser aus. Eine Abkehr vom Luxussegment bei Steinway sieht Husmann dabei aber keinesfalls. Im Gegenteil.

"Längerfristig werden nur drei Hersteller überleben", spricht Husmann klare Worte über den weiteren Verfall der Branche, die vor der Krise noch 600 000 Instrumente baute, sich jetzt mit 400 000 Exemplaren begnügen muss und seiner Meinung nach nie mehr die alte Stärke erreicht. "Yamaha aus Japan und Pearl River aus China werden übrig bleiben - und wir ", sagt Husmann lächelnd. Die japanische Yamaha wegen der technischen Überlegenheit eines Herstellers, der vom Motorrad bis zum Chip alles im Angebot hat. "Wo wir den Zollstock nehmen, messen die mit dem Laser." Die chinesische Pearl River als potenter Massenhersteller, der übrigens auch die Essex-Klaviere für Steinway baut.

"Und wir, weil unsere Flügelkonstruktion seit mehr als 100 Jahren einzigartig ist und bei den Virtuosen unseren Ruf begründet." Die jüngste Entwicklung gibt dem Optimismus Husmanns recht: Im ersten Halbjahr steigerte Steinway seinen Umsatz um drei Prozent auf 114 Millionen Euro.

Angst vor der Nachahmungswut der Asiaten kennen die Hamburger übrigens nicht. "Wenn jemand einen Steinway kopiert, wird der Nachbau viel teurer sein als bei uns", sagt der Vater von zwei Kindern selbstbewusst und verweist auf die über Jahrzehnte erworbene Expertise der Steinway-Produktion.

Hier kommen allerdings wieder die Chinesen ins Spiel. Sie haben in den vergangenen Jahren enorm aufgeholt und sind selber zu einer potenten Klavierbaunation aufgestiegen. Schon heute kommen weltweit zwei von drei Klavieren und Flügel aus China.