Ein Geschwister-Duo in der Endrunde des “Concours Musical de France“

Seevetal. Die Hände fliegen über die Tasten des schwarzen Steinway, wirbeln durch den Walzer "Maskarade" von Chatschaturjan, der Oberkörper schwingt dynamisch in der Bewegung: In diesem Moment sieht Kevin Kroll um einiges erwachsener als seine tatsächlichen 15 Jahre aus. Seine 13-jährige Schwester Nita, die ihm am Flügel gegenüber sitzt, blickt ernst und ein bisschen hingebungsvoll: Sie schlägt bei dem Klavierduo die sanften, der Bruder die dramatischen Töne an. Es ist ein Gänsehautgefühl. Auch wenn die Geschwister Kevin und Nita Kroll aus Seevetal ihr Spiel gerade nur als Internetvideo bei You Tube zeigen. Bis dato haben es 165 Besucher abgerufen. Man spürt fast körperlich: das ist außergewöhnlich. Die beiden spielen wunderbar und man muss es ihnen nicht mehr sagen: Sie haben es amtlich.

Am Sonnabend zeigen sie in Paris ihr Können

Am 15. Mai, sind sie in die Endrunde des Concours Musical de France nach Paris eingeladen. Ein renommierter, 1979 gegründeter Piano-Wettbewerb, für den weltweit Ausscheidungen laufen. Am Sonnabend um 15 Uhr werden sie in Paris zusammen mit Pianisten aller Nationalitäten in die Tasten greifen. Auswendig und in der dritthöchsten Schwierigkeitsgruppe: "superieur quatre mains". Mit vier anderen Paaren, gegen die sie antreten, darunter eines aus der Hamburger Klavierschule ihrer Lehrerin. Man wird sich irgendwo in dem Pariser Vorort Saint-Maur-des-Faussés ein Zimmer nehmen, sagt Mutter Bettina Fittkau.

Ein bisschen ist sie sogar froh, dass die Familie die Chancen und das, was in Frankreich auf sie zukommen wird, noch nicht richtig einschätzen kann. Vielleicht wird es ein bisschen sein wie beim Wettbewerb "Jugend musiziert" 2009, wo sie hineinschlitterten und im Bundeswettbewerb überraschend auf dem dritten Platz landeten. Alles, was die Familie weiß ist, dass man bei der Endausscheidung auf Nationalitäten treffen wird, die ihre Kinder "unglaublich drillen", so Fittkau: Polen, Russen, Chinesen.

Bettina Fittkau hatte schon am Telefon gesagt, dass "sie eine ganze normale Familie sind." Wenn mal einen Tag nicht geübt werde, dann sei das eben so. Und eigentlich fing das Ganze ja auch mit ihrem eigenen Klavier an, einem Schimmel, den sie sich gönnte, als Kevin sechs war. Irgendwann hatte der Sechsjährige dann selbst gefragt, ob er spielen dürfe, sagt Bettina Fittkau und betont das "selbst gefragt". Es folgte Unterricht bei der Pianistin Valentina Lachmann.

Liebe auf den ersten Blick war das. "Die Chemie hat gestimmt". Kevin, der Stücke schnell auswendig spielen kann, "irgendwo da oben so eine spezielle Speicherplatte hat", erinnert noch das erste Stück, das die Lehrerin für ihn schrieb. "Bettinchen", hatte die mit ihrem russischen Akzent zur Mutter gesagt, "deine Kinder sind so begabt, lass sie nie aufhören". Aber "schütze sie auch vor der Einsamkeit des Pianistenberufes." Als die Lehrerin starb, war das ein Drama. Seit vier Jahren bekommen die Geschwister, die mittlerweile die 8. und 10. Klasse des Immanuel-Kant-Gymnasiums in Sinstorf besuchen, bei der russischen Konzertpianistin Natalia Pogouliaeva Unterricht. Ein Name, der in Fachkreisen für absolute Professionalität steht.

Mit ihr geht es seit vier Jahren mit "Volldampf ins Duo". 20 Finger müssen korrespondieren. Und wenn man auf der Bühne sitzt, gibt es keine Gesichter mehr, "nur noch Noten, Tasten und Finger", sagen die Geschwister "Die beiden sind sich zwar manchmal Spinne Feind", urteilt ihre Mutter, "aber am Instrument haben sie ein gemeinsames Herz, das schlägt." Kurz vor einem Wettbewerb - schätzungsweise vier im Jahr spielen sie, geht es im Hause rund. Täglich 1,5 Stunden werden geübt. Selbstständig organisiert. Die Geschwister verabreden sich mit ihren Kalendern. Aktuell stehen die norwegischen Tänze des romantischen Komponisten Edward Grieg auf dem Programm, die man in Paris geben will.

Zwanzig Hände und viel "Zickenkram"

"Da geht hier die Post ab", "Zickenkram" sagt Nita Kroll. "Machtkämpfe so nach dem Motto, du hast mich berührt, du störst meine Aura", ergänzt Kevin, der mit seiner Lockenmähne ein wenig wie ein verwegener Pianist oder ein Chemieprofessor aussieht. Grieg bietet für ihn, der die Dramatik liebt, ordentlich Gelegenheit, "es dem Piano zu zeigen." Konkurrenz ist für die beiden Jungpianisten kein Thema, zumindest spüren sie davon auf den Wettbewerben noch nichts.

Als Beruf will aber keiner die Musik ergreifen. Kevin, der nach Urteil seiner ersten Lehrerein das absolute Gehör hat und Töne präzise bestimmen kann - schätzungsweise zehn Prozent der Berufsmusiker dürfen diese Gabe ihr eigen nennen, zieht es in die Naturwissenschaft: Chemie und Physik sind seine Steckenpferde. In seinem Zimmer lötet er, baut Lichtanlagen und hat einen Bestellkatalog aus dem Elektroversand mit unzähligen Hafties ausgebreitet. Nita ist im Gegensatz zu ihrem Bruder, der schon mal in die Richtung des wild-genialischen geht, die Strukturierte und Ordentliche. Ihren Garten hegt sie und beruflich soll es vielleicht mal Medizin sein. Aber das ist Zukunftsmusik. Jetzt sucht sie lieber ein schönes Kleid, was mit 13 gar nicht so leicht ist, und am Abend des 16. Mai werden die Geschwister in Paris ihr Ergebnis erfahren.

"Simsen" wollen sie es der Reporterin, das haben sie versprochen. Und dann fällt Kevin zum Abschied noch die Geschichte mit dem alles entscheidenden Brief ein, in dem die Teilnahme an der Endausscheidung des Concours stand: "Premier Finaliste." Nachdem sie ihre Bewerbungs-DVD im Kunsthaus Jesteburg zusammen mit vier weiteren Klavierschülern aufgenommen hatten, hieß es zuhause in Seevetal auf den Postboten warten. Nichts kam. Andere hatten schon Nachricht, allmählich wurde man unruhig. Und dann platzt Bettina Fittkau heraus: "Kevin, unser zerstreuter Professor, hatte den Brief oben in seinem Zimmer vergessen." Die Erfolgsnachricht hatte das kleine Musikgenie beim Öffnen gefreut, dann aber hatte er vergessen, sie Mutter und Schwester zu überbringen - der Brief lag vergessen auf seinem Schreibtisch.