Der An- und Verkauf von Energie beeinflusst den Gewinn der Versorger maßgeblich. Ein Besuch bei Vattenfalls Energiehändlern in Hamburg.

Hamburg. Vorn im Großraum hängen acht Monitore an der Wand. Darauf stehen viele feine Informationen, die man für den Energiehandel heutzutage so braucht. Die Wetterlage zum Beispiel, die Auslastung der Stromnetze in Europa, die Aktivität der eigenen Kraftwerke. Und da steht auch, was die Konkurrenz des Energiekonzerns Vattenfall Europe gerade macht.

"Klick mal bitte ein großes Kraftwerk an", sagt Steffen Herkner zu einem Kollegen, der die Bildschirme überwacht. Einer der Monitore zeigt, wie viel Strom Kraftwerke in verschiedenen europäischen Ländern zu diesem Zeitpunkt produzieren. Ein Doppelklick - und das Atomkraftwerk Nogent südöstlich von Paris wird vergrößert. Die Auslastung ist hoch. In Frankreich laufen die Klimaanlagen an diesem heißen Sommertag auf vollen Touren. Vielleicht eine Gelegenheit für Vattenfall, Strom ins Nachbarland zu verkaufen.

Ihre Informationen über den Energiefluss in anderen europäischen Ländern beziehen die Energiehändler von Vattenfall Energy Trading vom Anbieter Genscape: Echtzeitdaten über die Auslastung von Stromnetzen oder Kraftwerken, von Erdgaspipelines oder Gasspeichern. "Diese Daten kann man kaufen. Jeder Marktteilnehmer, der am Energiehandel teilnimmt, hat sie", sagt Herkner, bei Vattenfall Energy Trading zuständig für den Stromhandel in Kontinentaleuropa. "Es kommt darauf an, was man daraus macht."

In einem Bürohaus gegenüber dem Michel sitzen die Energiehändler des drittgrößten deutschen Stromkonzerns Vattenfall Europe, eines Tochterunternehmens des schwedischen Staatskonzerns Vattenfall. Insgesamt 400 Mitarbeiter setzt Vattenfall in Europa für diese Aufgabe ein, neben Hamburg gibt es Niederlassungen in Amsterdam, Kopenhagen, Stockholm und Warschau. Nach der Liberalisierung des deutschen und des europäischen Strommarkts und mit der Übernahme der Hamburgischen Electricitäts-Werke (HEW) baute Vattenfall zu Beginn des vergangenen Jahrzehnts einen Energiehandel auch in Hamburg auf. Dessen Ergebnisse beeinflussen die Arbeit des gesamten Konzerns: die Auslastung der eigenen Kraftwerke, die Preisbildung bei Strom und Erdgas, die Ausstattung mit Emissionsrechten für Treibhausgase.

Im Organigramm des Konzerns steht der Energiehandel in der Mitte - an der Schnittstelle zu allen anderen Bereichen. "Als zentrale Handelsplattform von Vattenfall kaufen und verkaufen wir Strom, Gas, Kohle, Öl und Emissionszertifikate für die Erzeugung und den Vertrieb", sagt Jochen Winter, 50, der Geschäftsführer der deutschen Niederlassung von Vattenfall Energy Trading. Das Geschick der Energiehändler an der Ludwig-Erhard-Straße bestimmt mit darüber, wie viel die Kunden von Vattenfall Europe in Hamburg und in Norddeutschland für Strom, Erdgas oder Fernwärme zahlen müssen. Das beeinflusst maßgeblich die Bilanz des Energiekonzerns. "Mit der Zeit, in der sich die Versorgungsunternehmen ihre Strompreise von einer Behörde genehmigen ließen, hat das heutige System nichts mehr zu tun", sagt Winter.

Im Großraum arbeiten zwei Dutzend überwiegend junge Mitarbeiter. Helle Holzwände stehen als Trenner zwischen den Reihen. Auf der einen Seite des Raums sitzen die Händler, die mit den anderen Marktteilnehmern kommunizieren. Daneben jene Mitarbeiter, die Daten mit den anderen Einheiten des Konzerns austauschen, mit der Kraftwerkssparte oder dem Vertrieb.

Die Energiehändler sehen an ihren Computern, welche Strom- oder Gasmengen, welche Quantitäten an Kohle oder an Emissionsrechten verkauft oder nachgefragt werden - sehr kurzfristig ebenso wie mittel- oder langfristig. "Der Strommarkt ist drei Jahre, teilweise fünf Jahre im Voraus liquide", sagt Energiehändler Herkner. Die Händler kaufen oder verkaufen heute bereits Strom für das Jahr 2015. Ob Vattenfall diesen dann aus eigenen Kraftwerken liefert oder gekauften Strom vom Markt durchreicht, spielt dabei keine große Rolle. Entscheidend für den Konzern ist es, guten Profit zu machen und möglichst viele Kunden zu binden.

Immer mehr ähnelt ein Betrieb wie der Energiehandel von Vattenfall den Trading Floors der internationalen Finanzindustrie. Auch Herkner und seine Kollegen machen zunehmend reine Finanzgeschäfte: Sie kaufen ein bestimmtes Kontingent an Energie und verkaufen es teurer weiter. "Der deutsche Energiemarkt ist als physischer Markt in den vergangenen Jahren gewachsen, er wird aber immer mehr auch ein finanzieller Markt", sagt Herkner. Vattenfall Energy Trading handelt direkt mit rund 500 Geschäftspartnern und ist zudem an den wichtigen europäischen Energiebörsen vertreten, etwa EEX in Leipzig oder Nordpool in Oslo.

Die Energiekonzerne brauchen ihre eigenen Handelsplätze mit hoch spezialisierten Mitarbeitern. Denn die Energiemärkte haben sich mit der Liberalisierung in Europa und in außereuropäischen Staaten, aber auch mit dem Fortschritt des Internets in den vergangenen zehn Jahren fundamental verändert. Über die Grenzen innerhalb Europas hinweg tauschen die Energieversorger heutzutage rund fünfmal so viel Strom aus wie Mitte der 70er-Jahre.

Die Liberalisierung der europäischen Strommärkte brachte mehr Transparenz für Erzeuger und Kunden, aber auch mehr Marktmacht für die Konzerne. Vattenfall Europe, E.on, RWE und Energie Baden-Württemberg kontrollieren mehr als 80 Prozent der Kraftwerksleistung in Deutschland. Wiederholt wurde ihnen vorgeworfen, die Preise an der Leipziger Strombörse EEX zu manipulieren. Bewiesen wurde das von Kartellbehörden und Verbraucherschützern nicht. Auch Energiehändler Winter weist den Verdacht zurück: "Vattenfall erzeugt mehr Strom, als es an seine Endkunden absetzen kann", sagt er. "Deshalb haben wir ein elementares Interesse an transparenten und funktionsfähigen Märkten."