Energieexperte Kurt Markert hat in Hamburg Strafanzeige gegen Gasversorger erstattet. Im Hamburger Abendblatt spricht er Tacheles.

Hamburg. Der langjährige Leiter der Energieabteilung des Bundeskartellamts und heutiger Honorarprofessor der Freien Universität Berlin, Kurt Markert, hat maßgeblich zur Liberalisierung des deutschen Energiemarktes 1998 beigetragen. Bei der Staatsanwaltschaft Hamburg hat er vor Kurzem eine Strafanzeige gegen E.on Hanse eingereicht, die nun geprüft wird.

Hamburger Abendblatt:

Herr Markert, Sie werfen in einer Strafanzeige Roman Kaak und Matthias Wendel, die beide Geschäftsführer von E.on Hanse Vertrieb sind, versuchten Betrug vor. Warum?

Prof. Kurt Markert:

Ich empfinde es als eine Dreistigkeit, dass das Unternehmen trotz gegenteiliger Rechtsprechung jene Kunden verklagt, die ihre Gasrechnung wegen zu hoher Preise bewusst nicht in voller Höhe beglichen haben. Dabei hat das Landgericht Hamburg doch festgestellt, dass die Klausel, mit der E.on Hanse die Tariferhöhungen gerechtfertigt hatte, unrechtmäßig war. Demnach und nach mehreren Urteilen des Bundesgerichtshofs in vergleichbaren Fällen war es sonnenklar, dass es keine Berechtigung zur Preiserhöhung gab.

Glauben Sie, dass die Staatsanwaltschaft nach Ihrer Strafanzeige Ermittlungen aufnehmen wird?

Nach einem Strafurteil des BGH vom Juni 2009 in einem vergleichbaren Fall müssten Ermittlungen der Staatsanwaltschaft eingeleitet werden. Nach einem BGH-Urteil zur Preisanpassungsklausel des Gasanbieters EWE sind darauf gestützte Preiserhöhungen auch dann unwirksam, wenn der Kunde der Erhöhung nicht widersprochen hat. E.on Hanse behält aber nicht nur die rechtswidrig kassierten Preiserhöhungen ein, sondern verklagt auch immer noch Kunden, die in der Vergangenheit ihre Gasrechnung gekürzt haben. Bisher verliert allerdings E.on Hanse meistens diese Prozesse.

Was kann ein Kunde tun, dessen Vertragsklausel sich im Nachhinein als ungültig erwies?

Er kann zu viel bezahltes Geld als ungerechtfertigte Bereicherung des Versorgers zurückverlangen. In der Praxis erweist sich dies aber als schwierig, da sich die Versorger weigern. EWE hat zum Beispiel sofort nach dem Urteil behauptet, der BGH habe den Konzern nicht zur Rückzahlung verpflichtet.

Kann er sein Geld vor Gericht einklagen?

Natürlich. Aber leider sind viele Kunden infolge der Argumentation der Versorger verunsichert und zögerlich, wenn es um einen Prozess geht. Leider gibt es bei den Gaspreisverfahren keine Sammelklagen nach dem Vorbild der USA. Wer jetzt seinen Versorger nicht verklagen und ein Grundsatzurteil abwarten will, sollte auf jeden Fall bis Jahresende einen Mahnbescheid erwirken. Denn sonst sind wegen der Verjährungsfrist alle Forderungen aus dem Jahr 2006 verjährt. Ich finde es übrigens sehr bedauerlich, dass die Versorger trotz der vielen verlorenen Prozesse in diesem Fall nicht auf den Verjährungseinwand verzichten.

Wie werden sich die Preise in Zukunft entwickeln?

Der deutsche Gasmarkt wird auf der Erzeugerseite von einem Oligopol aus Russland, den Niederlanden und Norwegen beliefert. Auf der Importseite dominiert E.on Ruhrgas mit einem Anteil von 60 Prozent den Markt. Die Lieferanten und die Importeure halten an der Vereinbarung fest, dass der Gaspreis an den für Öl gekoppelt wird. Deshalb kann man die Preise für Privatkunden nicht voraussagen. Industriekunden haben derzeit allerdings die Möglichkeit, Gasmengen billiger einzukaufen, die wegen der Wirtschaftskrise nicht abgesetzt werden können.

Ist die Ölpreisbindung sinnvoll? Die Versorger argumentieren, sie schütze vor Wucherpreisen.

Nein, sie gehört abgeschafft. Der Preis sollte sich nach Angebot und Nachfrage bilden, wie dies bei den meisten Gütern, so auch beim Öl, üblich ist. Die Furcht, dass wir dann im Winter frieren müssen, halte ich für übertrieben. Schließlich müssen auch die Produzenten ihr Gas absetzen.

Gibt es eine Chance, dass der Gaspreis ohne Ölpreisbindung sinkt?

Natürlich, das sehen wir in Ländern wie den USA und Großbritannien, wo es keine Ölpreisbindung gibt. In Zukunft wird der Preis auch deshalb nachgeben, weil immer mehr Flüssiggas aus Algerien oder dem Nahen Osten auf den deutschen Markt kommen wird. Damit werden wir unabhängiger von den Mengen, die zum Beispiel aus Russland über Pipelines nach Deutschland kommen.

Als Chef der Energieabteilung beim Bundeskartellamt haben Sie bis 1998 vehement für die Liberalisierung des deutschen Energiemarktes gekämpft. Ist die Liberalisierung gelungen?

Ja und nein. Zwar sind die Gebietsmonopole gefallen, sodass jeder Anbieter überall auf den Markt gehen kann. Aber die Stromerzeugungskapazitäten gehören noch zu 80 Prozent den vier großen Oligopolisten EnBW, E.on, RWE und Vattenfall. Das macht den Strommarkt und die Preisfindung intransparent.

Wieso, der Preis wird doch an der Börse nach Angebot und Nachfrage ermittelt.

Dieser Eindruck wird vermittelt. Aber tatsächlich ist es so, dass nur ein geringer Teil des deutschen Stroms dort gehandelt wird. Der Rest wird von den Unternehmen selbst verkauft. Und das zum Börsenpreis. Ich habe den Verdacht, dass die Erzeuger so hohe Gewinne machen.

Warum greift das Kartellamt nicht ein?

Das Bundeskartellamt befindet sich gerade in einer Sektorenuntersuchung zum Stromgroßhandel. Ergebnisse gibt es noch nicht. Zudem hat das Bundeskartellamt mehr als 30 deutsche Gasversorger geprüft und von ihnen vor etwa zwei Jahren die Zusage von Preiszugeständnissen erhalten, die insgesamt 440 Millionen Euro betragen sollten. Ob diese Größenordnung tatsächlich stimmt, halte ich jedoch für zweifelhaft.

Es drängt sich das Gefühl auf, dass das Bundeskartellamt in Sachen Strom und Gas zahmer geworden ist.

Man sollte das Ergebnis der Sektoruntersuchung zum Stromgroßhandel abwarten. Aber als die CO2-Zertifikate eingeführt wurden, die dazu berechtigen, das umweltschädliche Gas CO2 zu produzieren, hat das Bundeskartellamt ein Musterverfahren gegen RWE eingeleitet. Denn die Stromkonzerne bekamen die Zertifikate vom Staat geschenkt. Trotzdem haben sie die Zertifikatskosten auf den Strompreis angerechnet und jene Zertifikate, die sie nicht selbst brauchten, an der Börse verkauft. Der Preis pro Zertifikat lag in der Spitze bei 30 Euro. Die Untersuchung führte auch zu einer Abmahnung von RWE.

Das ist doch ein Erfolg.

Leider nicht, denn kurz darauf hat das Kartellamt das Verfahren unter der Auflage, dass eine bestimmte Strommenge auktioniert werden muss, eingestellt. Es wäre interessant zu erfahren, wer dies zu verantworten hatte.