Der Kinder-Psychotherapeut Bernd Henke über Erziehungsfragen auf dem Dom

Der Dom mit seinen Verlockungen produziert täglich kleine erzieherische Dramen. Dass das völlig normal ist, und wie Eltern mit ihrem Nachwuchs pädagogisch wertvoll über das größte Volksfest des Nordens schlendern können, erklärt Dr. Bernd Henke, Kinder- und Jugendpsychotherapeut aus Wellingsbüttel, im Abendblatt-Gespräch.

Hamburger Abendblatt:

Herr Henke, was bedeutet ein Dombesuch für die Kinderpsyche?

Dr. Bernd Henke:

Es ist vergleichbar mit der Situation, in der Kinder Geschenke bekommen. Diese bunte Welt mit ihren Reizen schafft Erregung. Sie erleben das Volksfest in höchstem Maße emotional.

Worauf sollten Eltern aus pädagogischer Sicht achten, wenn sie mit ihren Kindern dort sind?

In erster Linie müssen sie Anteil nehmen und mitbekommen, was vom Kind verarbeitet werden muss. Das heißt, dass man nach der Karussellfahrt auch mal stehen bleibt und sich anhört, was das Kind zu erzählen hat. Gemeinsames Erleben sollte im Mittelpunkt stehen. Im Wechselspiel aus neugierigem Entdecken und dem Bedürfnis, darüber zu sprechen, sollte man sich bis zu einem gewissen Grad mitreißen lassen, mit Interesse dabei sein. Das bedeutet aber auch, die Steuerungsfähigkeit des Kindes nicht aus den Augen zu verlieren.

Wie wichtig sind in diesem Zusammenhang Grenzen?

Enorm wichtig. Allerdings sollten sie individuell festgelegt werden. Denn es gibt eine große Bandbreite. Ein Kind verträgt sieben Karussellfahrten, ein anderes nur zwei. Kinder versuchen fortwährend, Grenzen zu verschieben. Und sie merken auch, wenn es dabei gefährlich wird. Dann wollen sie wieder beschützt werden. Ohnehin ein Grundbedürfnis von Kindern. Es ist Aufgabe der Eltern, Grenzen festzulegen und bei der Verarbeitung der Grenzerfahrungen behilflich zu sein. Dazu gehört auch, nach enttäuschenden Erlebnissen Trost zu spenden. Genauso wichtig ist, die Anzeichen von Überforderung wahrzunehmen. Denn Kinder signalisieren in der Regel sehr deutlich, wenn sie mit Erlebnissen überfordert sind.

Demnach spielt Konsequenz auf dem Dom eine ebenso wichtige Rolle wie in der Erziehung allgemein?

Gerade dort ist Konsequenz unerlässlich. Dazu gehört, über Negativerlebnisse hinwegzuhelfen. Beim Setzen von Grenzen bleibt es nicht aus, auf deren Einhaltung zu bestehen und damit dem Kind sein Limit zu zeigen. Um diese Grenzen zu verinnerlichen, muss dem Kind erklärt werden, was Regeln bedeuten und was Verstöße zur Folge haben.

Wie viel Dombesuche halten Sie - aus psychotherapeutischer Sicht - für vertretbar?

Eigentlich müsste ich sagen: Ein Besuch pro Jahr reicht aus. Aber wenn man mit einem sich normal entwickelnden Kind sowohl Frühjahrs-, Sommer- und Winterdom besucht, ist das auch nicht weiter bedenklich.