Prof. Herbert Brücker ist Migrationsexperte am Nürnberger Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung.

Hamburger Abendblatt:

1. Wirtschaftsminister Rainer Brüderle will eine Initiative zur Anwerbung ausländischer Experten starten, um den Fachkräftemangel zu bekämpfen. Aber brauchen wir überhaupt mehr Zuwanderer?

Herbert Brücker:

Eindeutig ja. Das Erwerbspersonenpotenzial wird ohne Zuwanderung von gegenwärtig 44,5 Millionen Personen bis zum Jahr 2050 auf 26 Millionen sinken. Bei einer Nettozuwanderung von 200 000 Personen pro Jahr könnte das Erwerbspersonenpotenzial immerhin bei gut 35 Millionen Personen stabilisiert werden. Diese Zuwanderung brauchen wir, um die Sozialversicherungssysteme zu entlasten.

2. Andererseits gibt es in Deutschland rund drei Millionen Arbeitslose. Lassen sich deren Talente denn gar nicht nutzen?

Doch. Die inländischen Potenziale müssen durch Aus- und Weiterbildung mobilisiert werden. Wichtig ist insbesondere, dass mehr Frauen berufstätig werden. Aber wahr bleibt auch: Nur ein Teil der offenen Stellen kann durch Arbeitslose ersetzt werden. In allen Volkswirtschaften existieren gleichzeitig offene Stellen und Arbeitslosigkeit, weil Arbeitsnachfrage und Angebot nicht in allen Berufen, Sektoren und Regionen zusammenpassen.

3. Bekommen denn hoch qualifizierte Deutsche überhaupt schon genügend Unterstützung?

In Deutschland sind in der Tat zu viele Hochqualifizierte arbeitslos. Diese Talente gilt es zu heben. Das setzt aber auch ein Umdenken der Unternehmen voraus. Sie müssen in Zeiten steigender Angebotsengpässe etwa auch verstärkt ältere Arbeitnehmer einstellen, die ihre Erwerbsbiografien unterbrochen haben.

4. Gegen die demografische Entwicklung kämpfen fast alle europäischen Staaten. Hat Deutschland überhaupt Potenzial für erfolgreiche Anwerbungen?

Deutschland hat zwar gegenüber den angelsächsischen Ländern einige Nachteile wie die Sprache und geringere Einkommensprämien für hohe Bildungsabschlüsse, verfügt aber über eine ausgezeichnete Infrastruktur. Es kann darum ein interessantes Zielland für die Zuwanderung vor allem von hoch qualifizierten Osteuropäern werden. Dies setzt aber eine Neuordnung der Einwanderungspolitik voraus, die transparente und realistische Möglichkeiten für Zuwanderung und langfristige Aufenthaltsperspektiven schaffen muss.

5. Welchen Beitrag könnten "Lockprämien" leisten, wie sie der Wirtschaftsminister anregt?

Keinen. Eine Migrationsentscheidung ist eine längerfristige Investition, die nicht von Begrüßungsgeldern beeinflusst werden sollte. Unternehmen wissen vermutlich selbst am besten, wie sie die Entlohnung gestalten müssen, um qualifizierte Mitarbeiter zu gewinnen.