Chef Günter Elste hat die städtische Hochbahn in einen nationalen Konzern verwandelt. Nun greift er mit seinem Unternehmen die Deutsche Bahn an.

Gemächlich rollt der gelbe Dieseltriebwagen durch die Felder zwischen Ludwigslust und Parchim. 50, 60 Stundenkilometer, dafür ist die eingleisige Strecke im Westen von Mecklenburg-Vorpommern gemacht. Eng säumen Äcker und Weiden, Bäume und Buschwerk das Gleisbett ein. Lokführer Rolf Dingler drückt ein paar Mal die Hupe. Voraus quert ein Feldweg die Schienen. Der Bahnübergang verläuft unbeschrankt und ohne Warnleuchten für die Passanten, da ist höchste Wachsamkeit im Führerstand gefragt.

Vor allem Radtouristen mit vollen Packtaschen stehen und sitzen an diesem Vormittag im Waggon. Mehrere Sitzreihen nimmt die Ostdeutsche Eisenbahn GmbH ODEG, der Betreiber der Bahnlinie, zur Saison aus den Triebwagen heraus, um Platz für Radfahrer zu schaffen. "Es kommen jedes Jahr mehr Touristen, die das Land mit dem Fahrrad erkunden", sagt Dingler. "Für Mecklenburg-Vorpommern ist das eine enorm wichtige Entwicklung."

Ein Erfolg, den es ohne die Privatisierung, ohne den zunehmenden Wettbewerb im Regionalverkehr vielleicht nicht gäbe. Etliche Strecken in ländlichen Gebieten wurden seit der deutschen Einheit stillgelegt, weil ihr Betrieb die für den Nahverkehr zuständigen Bundesländer finanziell überforderte. "Eine Nebenstrecke wie diese würde das Land Mecklenburg-Vorpommern aus Kostengründen womöglich längst nicht mehr zum Betrieb ausschreiben, wenn die Deutsche Bahn hier keine Konkurrenz hätte", sagt Karl-Peter Naumann, der Bundesvorsitzende des Fahrgastverbandes Pro Bahn. "Solche Strecken rechnet sich die Bahn gern teurer, als sie sind. Ohne Wettbewerb führt das irgendwann zur Stilllegung."

Das Monopol der Deutschen Bahn aber bröckelt, zuerst beim Güterverkehr, nun auch bei der Passagierbeförderung. Im Personen-Fernverkehr hält der bundeseigene Konzern den Fahrplan zwar noch weitgehend allein in der Hand. Im Regionalverkehr jedoch wächst die Vielfalt der Anbieter bereits spürbar. Einer der wichtigsten Bahn-Konkurrenten ist an diesem Markt mittlerweile die Benex, die Holding der Hamburger Hochbahn für Schienen- und Busverkehre außerhalb der Hansestadt. Von Schleswig-Holstein bis Bayern, von Niedersachsen bis Berlin hat die Benex in den vergangenen Jahren Fuß gefasst. Unter anderem gehören ihr 50 Prozent der Anteile an der ODEG. Die wiederum ist im Begriff, mit der Übernahme von regionalen Personenverkehren in Berlin und Brandenburg zum größten Wettbewerber der Bahn in Ostdeutschland aufzusteigen.

Der Architekt des noch jungen Hamburger Bahnkonzerns sitzt in seinem Büro im Hochbahn-Haus an der Steinstraße. Die Zentrale des Hamburger Bus- und U-Bahn-Verkehrs strahlt trotz mancher Modernisierungen in den vergangenen Jahren noch immer die gute alte Autorität eines Monopolunternehmens aus. Monopolist ist das städtische Unternehmen Hochbahn in seinem Kerngeschäft nach wie vor. Doch Hochbahn-Chef Günter Elste empfindet Freude dabei, das Monopol der viel größeren Deutschen Bahn bei den Regionalverkehren Stück für Stück mit aufzubrechen. "Wer einen so komplexen Nahverkehr organisieren kann, wie wir das in Hamburg tun, der kann diese Erfahrung im regionalen Bahnverkehr erst recht anwenden", sagt er vor einem Glas Mineralwasser und ist bereits in sein Lieblingsthema vertieft.

Ein Bahnmann von der Pike auf ist der 61 Jahre alte Manager keineswegs. Umso mehr erstaunt sein berufliches Spätwerk. Nach seinem Wirtschaftsstudium in Hamburg arbeitete er seit Mitte der 1970er-Jahre in verschiedenen Funktionen für städtische Unternehmen und lange Zeit zugleich in der Hamburger Politik. Beide Felder lagen seinerzeit fest in der Hand der SPD. Mit Bürgermeister Henning Voscherau allerdings, so erinnern sich Beobachter, verband Elste keine enge politische und menschliche Freundschaft. 1996 gab er den Fraktionsvorsitz der SPD in der Hamburgischen Bürgerschaft auf und auch die Führung der städtischen Beteiligungsgesellschaft. Elste wurde Chef der Hochbahn - nach damaliger Lesart ein komfortabler Versorgungsposten für städtische Honoratioren.

Doch Elste machte etwas anderes daraus. Er baute eines der modernsten Nahverkehrsunternehmen in Deutschland auf. Und einen Konkurrenten für die Deutsche Bahn jenseits der Hamburger Stadtgrenzen. Der Anstoß für den Aufbau des überregionalen Geschäfts kam von ihm. "Als ich das 2002 hier im Hause vorgetragen habe, herrschte tiefes Schweigen", sagt er. "Das erlaubt uns die Stadt nie, kamen später die Einwände. Dann haben wir uns an Ausschreibungen beteiligt, und heutzutage halten wir bundesweit sechs Prozent Marktanteil bei den Regionalverkehren auf der Schiene." Hinzu kommen zahlreiche regionale Buslinien. Zehn Prozent Marktanteil sei das Ziel beim regionalen Bahnverkehr, sagt der Hochbahn-Chef. Gebündelt wird dieses Geschäft bei der Benex, die die Hochbahn für die Verkehre außerhalb Hamburgs im Jahr 2007 gegründet hat.

Die Geschäftsgrundlage, die Elste für das Wachstum definiert, gilt für ihn bei der städtischen Hochbahn wie auch im Bahn- und Busverkehr bundesweit: "Wir wollen die Kosten reduzieren und zugleich mehr Menschen in Züge, Busse und U-Bahnen holen. Mit Zuverlässigkeit, Sauberkeit, Pünktlichkeit", sagt er. Die Fahrleistungen im öffentlichen Nah- und Fernverkehr steigen seit Jahren, in den Regionalverkehren noch stärker als auf den Fernstrecken. Höhere Benzinpreise und schärfere Umweltauflagen haben dazu beigetragen, dass immer mehr Menschen vom Auto auf Busse und Bahnen umsteigen - aber auch ein guter Service und die Verlässlichkeit der öffentlichen Verkehrsmittel. Das ist Elstes großes Projekt. "Wir wollen nicht nur in Hamburg erfolgreich sein, sondern überregional der Experte für die Steigerung der Fahrgastzahlen werden", sagt er.

Für den Ausbau der Bus- und Bahnverkehre hat er nicht nur in Hamburg Lobbyarbeit geleistet, sondern bundesweit als Vizepräsident und Präsident des Verbandes Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) von 2000 bis 2009. Engagiert und mit Experimentierfreude modernisiert Elste die Hochbahn-Flotte. Testweise führte er Busse mit Wasserstoffantrieb ein, und für die viel befahrenen Strecken ließ er extra lange Busse mit doppeltem Gelenk beschaffen. Ebenso treibt er das überregionale Geschäft der Benex mit voran.

Seit fast eineinhalb Jahrzehnten hält sich Elste im Amt, mit fachlichem Enthusiasmus und Offenheit gegenüber seinen Mitarbeitern. Wenn er im Bus oder in der U-Bahn unterwegs ist, spricht sich das bei den Fahrern über Funk schnell herum. "Der Alte ist im Netz" - das bekommt auch der Chef mit, und das gefällt ihm. Er sieht es als Zeichen der Verbundenheit. "Jeder Hochbahner", sagt er, "kennt die Strategie und die Ziele des Unternehmens."

Seine lange Karriere bei der Hochbahn verdankt er aber auch dem Wissen, wie Kommunalpolitik funktioniert. Anders hätte der Sozialdemokrat, der sich erst im Jahr 2002 ganz aus der Landespolitik zurückzog, wohl kaum die mehr als neunjährige Amtszeit des CDU-Bürgermeisters Ole von Beust überstanden. Sein Vertrag als Hochbahn-Chef, der zuletzt bis 2011 lief, wurde im März bis 2016 verlängert. "Er hat für die Entwicklung des öffentlichen Verkehrs in Deutschland Meilensteine gesetzt", sagte sein Nachfolger als Präsident des VDV, Jürgen Fenske.

Bis zu seinem Ruhestand hat der Vater zweier erwachsener Töchter, begeisterter Radfahrer und Angler noch einiges vor. Die neue U-Bahn-Linie U 4 würde er gern über die HafenCity hinaus in Richtung Wilhelmsburg verlängert sehen. Und die umstrittene Rückkehr der Straßenbahn, die nun Stadtbahn heißt, unterstützt er aus voller Überzeugung. All das kostet viel Geld in Zeiten leerer öffentlicher Kassen. Elste hält mit grundsätzlichen Argumenten dagegen: "Wir haben den Auftrag, Menschen aus dem Individualverkehr an den öffentlichen Personennahverkehr zu binden. Unter anderem auch deshalb, damit der Wirtschaftsverkehr auf der Straße besser fließen kann."

Neue Perspektiven und Wachstumschancen aber ergeben sich für die Hochbahn in den kommenden Jahren vor allem außerhalb von Hamburg. Die Deutsche Bahn ist dabei, ihren britischen Konkurrenten Arriva zu übernehmen. Davon könnte die Benex profitieren. 51 Prozent der Anteile hält die Hochbahn, 49 Prozent der britische Infrastruktur-Fonds International Public Partnerships. Die Benex machte 2009 rund 9,2 Millionen Euro Umsatz und gut drei Millionen Euro Gewinn. Der Anteil, der auf die Hochbahn entfällt, entlastet die Stadtkasse. Denn die Hochbahn braucht, wie praktisch jedes kommunale Verkehrsunternehmen, weiterhin Zuschüsse, wenn auch weniger als früher. 2003 waren es 78 Millionen Euro, 2009 noch 58 Millionen Euro.

Aus kartellrechtlichen Gründen wird die Deutsche Bahn das Deutschlandgeschäft von Arriva wohl verkaufen. Dazu gehören unter anderem Anteile an der ODEG in Berlin und an Metronom in Uelzen - an beiden Unternehmen ist die Benex bereits beteiligt: "Die Benex hätte großes Interesse daran, ihre Metronom-Anteile aufzustocken. Und auch bei der ODEG könnten wir uns einen Ausbau der Anteile vorstellen", sagt Elste. Erst Tage zuvor hat er darüber mit Bahnchef Rüdiger Grube in Berlin gesprochen. "Das ist im Fluss", sagt er dazu vor dem Fototermin auf dem Dach des Hochbahn-Hauses und lächelt. Mehr aber auch nicht. Da wird er dann doch plötzlich wieder politisch.