Lange war Pater Hagenkord Jugendseelsorger. Seit November leitet er das deutsche Programm des Senders Radio Vatikan.

Hamburg. Es gibt bequemere Plätze in Rom. Orte, die ruhiger, beschaulicher und weniger aufreibend sind als sein Arbeitsplatz. Und wenn Pater Hagenkord ganz ehrlich mit sich ist, hätte er keinen heikleren Zeitpunkt erwischen können für den Beginn seiner Tätigkeit in der italienischen Hauptstadt. Und keinen spannenderen. Bernd Hagenkord ist Jesuitenpater. Und er ist Journalist. Im vergangenen Oktober verließ er nach acht Jahren seelsorgerischer Tätigkeit seine Wahlheimat Hamburg und ging nach Rom. Motiviert, neugierig, gut ausgebildet übernahm er die Leitung der deutschsprachigen Abteilung von Radio Vatikan . Zu diesem Zeitpunkt konnte er nicht ahnen, dass er schon bald zu einer der gefragtesten Personen in der Medienbranche gehören würde, zur Schnittstelle zwischen Medien und Kirche.

Am 28. Januar berichten die deutschen Medien erstmals über den Missbrauch am Berliner Canisius-Kolleg. Hagenkord liest die Agenturmeldungen, durchwühlt die Zeitungen. Er kann es nicht fassen. Weil ihm für solche Taten die Vorstellungskraft fehlt. Und weil er selbst zwei Jahre lang als Seelsorger am Kolleg gearbeitet hat. "Ich habe nichts geahnt", sagt er, der den Pater des Kollegs persönlich gut kennt, der mit Opfern befreundet war. "Das frisst an der Seele."

Der Missbrauchsskandal wird zum nicht enden wollenden Thema für Hagenkord und die fünf Mitarbeiter seines Senders. In Nachrichtenbeiträgen, Magazinen, Interviews dreht sich alles um den Skandal und um die mangelnden Reaktionen der Kirche darauf. Für den Pater ist klar: "Wir müssen aufklären, die Wahrheit ans Licht bringen. Das ist unsere Pflicht und Verantwortung." Widerlich sei das, was dort passiert sei. Und schmerzhaft.

Ein halbes Jahr ist seit Bekanntwerden der ersten Missbrauchsfälle vergangen. Und Hagenkord hat keine Möglichkeit ausgelassen, zwischen Kirche und Medien zu vermitteln. Das ist seine Pflicht als Journalist und Priester.

Hagenkord, 41 Jahre alt, hat nie eigene Erfahrungen mit Missbrauch gemacht. Im Gegenteil. Seine Welt war stets eine heile. Aufgewachsen im westfälischen Ahlen, das Elternhaus katholisch, die Kindheit behütet. Seine Eltern arbeiten als Lehrer. Drei Geschwister hat Hagenkord. Zwei von ihnen sind ebenfalls im Lehramt. Bernd Hagenkord will für sich etwas anderes. Er arbeitet für die örtliche Tageszeitung, beginnt schließlich ein Geschichtsstudium in Gießen. 1991 geht er nach Hamburg. Mit der Frage, ob das Ordensleben etwas für ihn sei, beschäftigt er sich schon länger. Ein Jahr später entschließt er sich, es auszuprobieren. Er tritt dem Jesuitenorden bei, liest Ordensdokumente, macht Seelsorge. 1994 legt er sein Gelübde ab.

Ganz bewusst entschließt sich Hagenkord gegen das weltliche Leben. Gegen den Konsum, gegen eine Partnerschaft. Eine Freundin ist für ihn tabu. "Meine Lebensform schließt eine Beziehung aus. Ein Gemeinschaftsleben wie im Orden funktioniert nur auf exklusiver Basis." Er studiert Philosophie in München, Theologie in London, arbeitet am Canisius-Kolleg in Berlin. 2002 wird er zum Priester geweiht und übernimmt die Jugendarbeit in Hamburg. Sieben Jahre lang kümmert er sich um die jungen Menschen, organisiert Sommerlager und betreut Jugendhäuser. Bis der Ruf aus Rom kommt.

Im Oktober verlässt Hagenkord seine Unterkunft im Pfarrhaus am Kleinen Michel und bezieht ein kleines Zimmer in einem Palazzo unweit des Vatikans. Von seinem Schreibtisch aus blickt er direkt ins Arbeitszimmer von Papst Benedikt XVI. 47 Jesuiten leben in der Villa. Er ist der einzige Deutsche.

"Ich habe mich auf die neue Aufgabe gefreut", sagt er. "Und die Arbeit macht mir viel Freude." Im November 2009 löst er seinen Vorgänger Eberhard von Gemmingen ab. Dieser hatte in 27 Jahren Radioarbeit unter zwei Päpsten gleich mehrere vatikanische Staatskrisen journalistisch meistern müssen. Jetzt ist Hagenkord an der Reihe. Zehn Stunden täglich verbringt er in den Büroräumen des Senders, keine fünf Gehminuten vom Vatikan entfernt. Er wertet nicht nur Zeitungen und Agenturmeldungen aus, sondern macht auch Interviews und eigene Beiträge. Und er geht auf Sendung. Jeden Nachmittag um 16 Uhr sendet der deutschsprachige Dienst das Nachrichtenmagazin "Treffpunkt Weltkirche" und eine weitere Magazinsendung mit wechselndem Schwerpunkt. Über Mittel- und Kurzwelle, Satellit und im Internet hören ihm im Schnitt 200 000 Hörer pro Tag zu. Hagenkord aber hat sich fest vorgenommen, "das gute Produkt Radio Vatikan" bekannter zu machen. Neue Kooperationspartner will der frühere Hamburger gewinnen, andere Medien-Nutzungsformen ausprobieren und den Hörerkreis erweitern.

Durch den Missbrauchsskandal ist Hagenkord unverhofft in den Mittelpunkt der Öffentlichkeit gerückt. Er will vermitteln zwischen Kirche, Medien und Menschen. Auch wenn er selbst dem Papst bislang nur ein einziges Mal persönlich die Hand geschüttelt hat. Allein durch seine Position ist er viel näher dran als alle anderen. Er fühlt sich der Wahrheit verpflichtet. Und er ist jemand, der sagt, was er denkt. Über den Papst zum Beispiel, dass man ihm sehr genau zuhören müsse, bis man seine Botschaft verstehe. Und dass es seine Aufgabe als Radiomann sei, die komplizierten Sätze sorgfältig einzuordnen. Und gegebenenfalls selbst die richtigen Worte zu finden. Über den Missbrauch sagt er: "Die Kirche ist nicht der einzige Ort, an dem so etwas passiert. Aber das enthebt sie nicht der Verantwortung, die Vorfälle zu bearbeiten." Wegsehen und Verdrängen sei keine Lösung. "Was dort passiert ist, ist dreckig und schmutzig." Deutlicher hätte Hagenkord es nicht formulieren können.