Politiker müssen Verantwortung übernehmen, sagt SPD-Chef Scholz . Gilt das auch für seine Bürgermeisterkandidatur?

Der Bürgermeister und mehrere Senatoren treten zurück, die Schulreform wird per Volksentscheid gestoppt, gleichzeitig baut die SPD ihren Umfragevorsprung vor der CDU aus, und eine Mehrheit würde Olaf Scholz direkt zum Bürgermeister wählen. Darüber sprach das Abendblatt mit dem SPD-Landsvorsitzenden.

Abendblatt:

Die SPD liegt in der Abendblatt-Umfrage bei 41 Prozent, so gut wie seit mehr als zehn Jahren nicht. Sind Sie stolz darauf?

Olaf Scholz:

Stolz ist eine Eigenschaft, die mir ziemlich fremd ist. Ich bemühe mich, meine Arbeit zu machen, und wenn das gut klappt, freue ich mich.

Das klingt sehr bescheiden. Aber 41 Prozent haben auch im Bundesvergleich für die SPD Seltenheitswert.

Das ist richtig. Hamburgs SPD hat eine lange Tradition als pragmatische Partei mit Herz. Als ich Landesvorsitzender wurde, habe ich mir fest vorgenommen, dass ich diese Eigenschaft wieder herausstellen will, und war mir sicher, dass es dann auch wieder wachsende Werte für die SPD geben würde. Im Übrigen gibt es ein Geheimnis für jede gute Politik: Man darf sich nicht drücken, man muss seine Aufgaben erledigen.

Zur Wahrheit gehört aber auch, dass Sie von der Schwäche der schwarz-grünen Koalition profitieren.

Auch. Es wäre vermessen, das zu leugnen. Wir haben eine sehr schlechte Bilanz nach neun Jahren CDU-Regierung in Hamburg. Wir haben eskalierende Probleme bei der inneren Sicherheit, der soziale Zusammenhalt schwindet, die Ergebnisse bei der Bildung sind nicht gut, wir haben den wirtschaftsfeindlichsten Senat seit 1946, und mit Geld können die CDU-Senate auch nicht umgehen.

Auch? Steckt dahinter die Erinnerung, dass die SPD damit zu Regierungszeiten auch Probleme hatte?

Ich wollte darauf hinweisen, dass das auch noch zur schlechten CDU-Bilanz gehört. Wir haben bestimmt nicht alles richtig gemacht. Aber Haushaltsdisziplin hat eine größere Rolle gespielt als in den letzten neun Jahren. Die heutigen Haushaltsprobleme sind ja nicht vorwiegend Folge der weltweiten Wirtschaftsprobleme, sondern des unangemessenen Umgangs mit Geld, als noch genug davon da war.

Eigentlich müssten Sie jetzt Neuwahlen fordern, schon weil es so gut für Sie läuft.

Man darf Neuwahlen nicht fordern, weil es für einen selbst gut läuft. Was man fordert, sollte man damit begründen, was für das Land oder die Stadt gut ist. Viele Hamburger haben 2008 die CDU gewählt, weil sie Bürgermeister Ole von Beust wollten. Und sie haben nicht damit gerechnet, dass er ihnen in dieser Legislaturperiode abhandenkommt. Insofern lässt das den Wunsch nach Neuwahlen größer werden.

Aber genau so hat es die SPD doch auch oft gemacht. 1997 haben die Menschen Voscherau gewählt, aber Bürgermeister wurde Runde. 1987 wählten sie Dohnanyi und bekamen später Voscherau, 1978 wählten sie Klose und bekamen später Dohnanyi. Die Liste ließe sich fortsetzen.

Es wäre unseriös zu behaupten, dass die eigene Partei keine Fehler gemacht hat. Aber bei Henning Voscherau war es anders. Er hatte vor der Wahl gesagt, dass er bei einem bestimmten Wahlergebnis nicht zur Verfügung stehen würde. Leider ist es mir und anderen nicht gelungen, ihn umzustimmen.

Aber in den anderen Fällen ist die SPD so verfahren wie heute die CDU. Also noch einmal: Warum soll das jetzt für Empörung sorgen?

Wir dürfen nicht in Funktionärskategorien denken. Und es ist eine Funktionärskategorie, wechselseitig etwas aufzurechnen. Wenn das dazu führt, dass man nicht mehr aussprechen darf, was alle denken, haben wir ein Problem. Und die meisten Hamburger fühlen sich düpiert, das muss man sagen dürfen.

Das ist heute, aber sie ignorieren das Argument, was früher war.

Wir schreiben ja kein Geschichtsbuch.

Okay, schauen wir nach vorne. Gilt für den SPD-Spitzenkandidaten, wer immer das sein wird, dass er im Falle seiner Wahl vier Jahre im Amt bleibt?

Ja. Wer kandidiert, muss das versprechen.

Der einzige Weg zu Neuwahlen führt über die GAL. Wie wollen Sie die Grünen dazu bewegen, den Senat zu verlassen?

Der Ball liegt im Garten der Grünen. Die sind auch nicht davon ausgegangen, dass ihnen der Bürgermeister abhandenkommt. Selbst führende Grüne waren ja vorher kaum informiert. Jetzt müssen sie beraten, wie sie mit solch einer Zäsur umgehen.

Was verbindet die SPD mit der GAL? Was würde bei Rot-Grün besser laufen?

Bei uns sind die Schnittmengen zwischen beiden Parteien schon von vornherein größer. Dass wir Türen öffnen und uns für ein durchlässiges Bildungssystem einsetzen, ist ein Ziel, das Grüne und Sozialdemokraten von Herzen teilen. Aber das reicht nicht mehr. Wir müssen uns auch für die Ergebnisse verantwortlich fühlen. Dass so viele junge Leute die Schulen ohne Abschluss verlassen, dass sie keine Lehrstelle bekommen, das ist ein Problem, das schon vor der Schule aufgegriffen werden muss. Da könnten wir uns verständigen. Dass die Wohnungsbau-Offensive dringend erforderlich ist, zählt auch zu den gemeinsamen Überzeugungen. Das sind Aspekte, an denen man sieht, dass die beiden Parteien zusammenpassen.

Im Haushalt fehlen 500 Millionen Euro pro Jahr. Wie ist das Loch zu stopfen?

Eine Priorität wird sein: Überall dort, wo vor Ort Leute eingesetzt werden, ob bei der Straßenreinigung oder der Pflege der Grünanlagen, bei der Kindererziehung und dem Unterricht oder der Polizeiarbeit vor Ort, kann nicht gespart werden. Sonst gibt es keine Tabus.

Solide Haushaltspolitik ist nicht damit erschöpft, dass man sagt, was man will. Wo würden Sie denn sparen?

Für uns wird das Prinzip gelten: Viele kleine Entscheidungen machen eine große Menge aus. Es mutet im Übrigen absurd an, dass die Koalition das Geld zum Fenster rauswirft, bei einem Bauprojekt nach dem anderen die Kosten explodieren, der Senat zum regulären Termin keinen Haushaltsentwurf vorlegt und dann auf die Vorschläge der Opposition wartet. Das ist peinlich.

Stichwort Volksentscheid: CDU, SPD, GAL und Linke waren für die Primarschule. Die Bürger haben anders entschieden. Sind die Parteien jetzt auf dem Abstellgleis?

Man kann nicht für Volksentscheide sein und sich dann über die Ergebnisse beklagen. Die Diskussion wäre anders verlaufen, wenn der Senat am Anfang nicht versucht hätte, die Reform so sehr von oben herab einzuführen. Am deutlichsten zeigte sich das bei dem unsäglichen Einfall, das Elternwahlrecht abzuschaffen.

Welche Konsequenzen ziehen Sie aus dem Volksentscheid?

Ich ziehe zwei Schlüsse: Alle Kraft muss jetzt darauf gerichtet sein, dass wir die Stadtteilschule zu einer wirklich guten Schule entwickeln. Zweitens müssen wir dafür sorgen, dass die Grundschulen mit den kleinen Klassen so gut werden, dass alle Kinder die Chance haben, gute Abschüsse zu erreichen.

Sind Sie dafür, dass nun ein Schulversuch Primarschule gestartet wird?

Es darf auf gar keinen Fall der Eindruck entstehen, dass die Primarschule auf Umwegen nun doch kommt. Das Volk hat entschieden. Daran müssen sich alle halten. Wenn an einer Schule alle das längere gemeinsame Lernen wollen, dann kann ich mir nicht vorstellen, dass sich darüber jemand aufregt. Aber das werden sicher erheblich weniger als die 23 Starterschulen sein, die es jetzt gibt. Ich kann jedem nur zu größter Vorsicht raten, auch der Schulsenatorin.

Gilt jetzt noch der zwischen SPD, CDU und GAL vereinbarte Schulfrieden - also das Versprechen, zehn Jahre lang keine neuen großen Schulreformen zu starten?

Das Hin und Her an den Schulen muss ein Ende haben. In den nächsten Jahren muss es um Qualitätsverbesserung gehen - zum Beispiel den Ausbau der Ganztagsschulen -, und nicht um eine neue Schulreform.

Nachgefragt: Wenn Sie in zwei Jahren mit der GAL Koalitionsverhandlungen führen sollten, ist dann der Schulfrieden verhandelbar oder sagen Sie: Daran wird jetzt nicht mehr gerüttelt?

Daran wird nicht mehr gerüttelt. Damit es keine Missverständnisse gibt: Die Schulstruktur in Hamburg wird aus drei Schulformen bestehen: der vierjährigen Grundschule sowie dem Gymnasium und der Stadtteilschule, die beide zum Abitur führen. Das gilt.

Sollten die Quoren für den Erfolg des Volksentscheids wieder erhöht werden?

Nein. Die Volksgesetzgebung hat sich bewährt.

Sind Volksentscheide ein Instrument der Informierten und Reichen?

Nein, das ist ein Irrtum. Die Gleichen, die das jetzt behaupten, haben oft früher gegen Volksentscheide eingewandt, dass dann von Uninformierten absurde Entscheidungen getroffen werden könnten.

Wir haben den Eindruck, dass die SPD ein wenig Schwierigkeiten hat, einen geeigneten Spitzenkandidaten zu finden. Deswegen machen wir ein paar Vorschläge: Was halten Sie von Peer Steinbrück?

Sie können eine Reihe von Vorschlägen machen, und ich werde immer sagen: Ein netter Mann.

Henning Voscherau?

Ja, Sie können jetzt die Platte anstellen.

Im Ernst: Laut Abendblatt-Umfrage würden 48 Prozent der Hamburger Sie direkt zum Bürgermeister wählen wollen. Ist das ein Anlass für Sie, zu sagen: Ich kann mir vorstellen, es zu machen?

Dieses Umfrageergebnis ist beeindruckend und beeindruckt auch mich. Ich begreife das als Verpflichtung, jetzt schön auf dem Boden zu bleiben, und den Kurs, den ich der SPD vorgeschlagen habe, zu Ende zu verfolgen: Wir konzentrieren uns auf Sacharbeit und stellen uns als Hamburg-Partei neu auf.

Ist es nicht geradezu eine Verpflichtung angesichts dieser Werte, als Spitzenkandidat anzutreten?

Solche Umfrage-Ergebnisse kann keiner nicht zur Kenntnis nehmen. Ich auch nicht. Mich berührt solch ein Ergebnis, ganz klar.