Staatsrechtler analysiert Volksentscheid und Beust-Rücktritt

Vier Dinge fallen beim angekündigten Rücktritt des Hamburger Bürgermeisters Ole von Beust und dem Ergebnis des Hamburger Volksentscheids auf, und zwischen ihnen bestehen innere Zusammenhänge.

1. Regierungschef ohne Legitimation

Nach von Beusts Rücktritt mitten in der Wahlperiode soll mit dem designierten Nachfolger Christoph Ahlhaus ein Regierungschef ohne demokratische Legitimation ins Amt kommen. Ganz anders von Beust: Wer der CDU bei der Bürgerschaftswahl 2008 seine Stimme gab, wollte auch ihren Spitzenkandidaten zum Ersten Bürgermeister machen. Beusts Charisma beflügelte die CDU. Zehn bis zwölf Prozentpunkte galten parteiintern als Ole-Bonus. Die CDU-Wähler müssen sich deshalb düpiert vorkommen, wenn ihnen jetzt ein ganz anderer vor die Nase gesetzt wird. So haben sie nicht gewählt.

Dass die jeweilige Regierungspartei sich legitimiert glaubt, den Regierungschef mitten in der Wahlperiode auszutauschen, spiegelt die politische Bevormundung der Bürger in unserem Lande wider. Demokratisch korrekt wären Neuwahlen des Parlaments. Doch die Parteien dürften sich weiterhin darüber hinwegsetzen, wie es auch bei Horst Seehofer in Bayern, Christine Lieberknecht in Thüringen und Stefan Mappus in Baden-Württemberg der Fall war.

2. Direktwahl des Regierungschefs

Für die Zukunft sollte man - im Wege einer grundlegenden Verfassungsreform - die Direktwahl des Regierungschefs ins Auge fassen, für die im Übrigen auch Erscheinungen wie die Minderheitsregierung in Nordrhein-Westfalen sprechen. Umfragen zeigen, dass die große Mehrheit eine solche Reform will. Dass sie auch sachlich sinnvoll wäre, hat eine mit summa cum laude bewertete Speyerer Dissertation aufgezeigt. Die Frage ist nur, wie eine solche Reform gegen den geballten Widerstand der Parlamentsparteien zu realisieren ist.

3. Reform am Parlament vorbei

Hier kommt die direkte Demokratie ins Spiel. Der erfolgreiche Hamburger Volksentscheid gegen die geplante Schulreform zeigt, was auf diesem Wege - gegen den erklärten Willen eines Parteienkartells - bewirkt werden kann. So war seinerzeit auch die Direktwahl der Bürgermeister in Hessen, Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen durchgesetzt worden. Mit diesem Instrument könnten die Bürger auch die Direktwahl der Regierungs- bzw. Senatschefs erzwingen, ein Verfahren, dem sich bei vorzeitigem Rücktritt des Amtsinhabers natürlich auch jeder neue Kandidat unterziehen müsste. Ein so Gewählter besäße dann wirklich demokratische Legitimation. Hamburg mit seiner ausgeprägt demokratischen Kultur könnte hier den Anfang machen.

4. Überholte Altersversorgung

Der vierte Punkt ist die Altersversorgung von Regierungsmitgliedern. Tritt ein Kanzler oder Bundesminister ab, erhält er die ungekürzte Pension erst mit vollendetem 65. Lebensjahr, in Hamburg und in vielen anderen Bundesländern erhalten ehemalige Regierungs- und Senatsmitglieder die Pension dagegen schon zehn Jahre früher. Ole von Beust ist 55 Jahre alt. Wäre er auch zurückgetreten, wenn er noch viele Jahre auf seine Pension hätte warten müssen?

Das Hinausschieben des Pensionsbeginns auf das 65. Lebensjahr im Bund war im Gesetzentwurf damit begründet worden, "die schwierige Situation aller Alterssicherungssysteme" erfordere "den ... Beitrag aller Gruppen ... auch ... der politischen Leitungsebene". Gilt das für die Länder etwa nicht? Scheiden Regierungsmitglieder vor der allgemeinen Altersgrenze aus, sitzen sie ohnehin nicht auf dem Trockenen, da sie auch noch Übergangsgeld bekommen, Ole von Beust zum Beispiel zwei Jahre lang.

Der Verfasser lehrt als pensionierter Universitätsprofessor an der Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer