Bernd Schaller ist als Militärseelsorger in Afghanistan tätig

Der Militärseelsorger Bernd Schaller lebt seit knapp vier Monaten zusammen mit rund 1100 deutschen Soldaten im Feldlager in Kundus. Einen Monat bleibt er noch in Afghanistan, bevor er wieder nach Deutschland reist. Im Telefoninterview mit dem Abendblatt spricht der 48-jährige Pfarrer über seinen ersten Einsatz in einem Krisengebiet, die Ängste der Soldaten und die Gemeinschaft im Feldlager.

Hamburger Abendblatt:

Sie haben das bisher schwerste Gefecht seit Beginn des Bundeswehreinsatzes in Afghanistan erlebt, sieben deutsche Soldaten wurden getötet. Was hat sich seitdem verändert?

Bernd Schaller:

Den Soldaten ist stärker bewusst, dass auch sie hätten sterben können. Sie fragen sich: Was passiert, wenn ich morgen rausfahre? Wenn ich eine Begegnung mit Taliban-Kämpfern habe?

Wie haben die Soldaten auf die Nachricht von den gefallenen Deutschen reagiert?

Mit Wut. Zorn. Hass. Verzweiflung. Die Soldaten sind nachdenklich. Sie haben das Gefühl, helfen zu wollen und dass es andere zunichtemachen wollen.

Wir groß ist Ihre eigene Angst?

Im Feldlager habe ich keine Angst. Aber wenn ich rausfahre, bin ich schon angespannt. Weil man jederzeit damit rechnen muss, dass sich gerade jemand am Straßenrand in die Luft sprengen will. Wenn Soldaten mit Einheiten rausfahren, zittere ich immer mit. Und hoffe, dass alle heil wieder ins Feldlager kommen.

Mit welchen Anliegen wenden sich die Soldaten an Sie? Was bewegt sie?

Das ist sehr verschieden, und die Gespräche ergeben sich meistens ganz spontan. Zum Beispiel beim gemeinsamen Essen. Sie grübeln darüber, wie es hier weitergeht. Wie es der Familie zu Hause geht. Gerade junge Soldaten, die das erste Mal von zu Hause weg sind, haben häufig Heimweh, vermissen ihre Liebsten. Einige Soldaten quält die Frage, ob sie bei einem Gefecht jemanden getroffen haben. Es sind schließlich Menschen und keine Kampfmaschinen.

Reden die Soldaten über ihre Gefühle?

Auffallend ist, dass sie zunehmend auch untereinander über ihre Ängste und Sorgen sprechen. Das ist eine gute Entwicklung und hat auch damit zu tun, dass das Thema posttraumatische Störungen mehr in den Mittelpunkt der Gesellschaft gerückt ist.

Was antworten Sie einem Soldaten, der Sie fragt, ob der Einsatz in Afghanistan richtig ist?

Das kann ich nicht mit Ja oder Nein beantworten. Ich habe das nicht zu beurteilen und will es auch gar nicht. Ich weiß nur, dass mein Einsatz hier wichtig ist. Ich bin für die Soldaten jederzeit ansprechbar, stehe beratend zur Seite.

Es ist Ihr erster Einsatz in einem Krisengebiet. Inwieweit konnten Sie sich darauf vorbereiten?

Ich hatte ein Jahr Zeit, um mich an den Gedanken zu gewöhnen. Als Notfallseelsorger im Rettungsdienst verfüge ich zwar über einen gewissen Erfahrungsschatz, aber letztlich gibt die Realität immer vor, wie man sich verhält. Routine gibt es hier nicht.

Wie verarbeiten Sie die Erlebnisse? Wer hört Ihnen zu?

Im Lager baut man Beziehungen zu Menschen auf. Der Gruppenpsychologe und ich tauschen uns etwa gegenseitig über unser Empfinden aus. Und ich telefoniere mit anderen Militärpfarrern, die mich fragen, wie es mir geht, ob ich etwas brauche. Die Seelenhygiene muss auch bei einem selbst funktionieren.

Wie würden Sie die Gemeinschaft im Feldlager beschreiben?

Die Menschen rücken automatisch näher zusammen. Es ist wie eine große Familie, die in einem kleinen Dorf lebt. Viele Abläufe des Lebens ereignen sich hier wie in Hamburg. Sie stehen nur unter anderen Vorzeichen. Selbstverständlichkeiten gibt es hier nicht. Es gibt nachts zum Beispiel keine Beleuchtung - sonst wären wir leichter angreifbar. Wir benutzen nur kleine Taschenlampen. Und das Frühstück ist auch nicht wie bei Muttern zu Hause. Stattdessen sitzen viele Hundert Soldaten im Speisesaal.

Was vermissen Sie am meisten?

Mit meinem Hund spazieren gehen zu können - darauf freue ich mich.