Das Buch “Courage“ würdigt Hamburger, die während der Nazi-Zeit Verfolgten geholfen haben. 500 Exemplare werden an Schulen geschickt.

Hamburg. Hamburg-Bergstedt, Ende der 80er-Jahre: Gertrud Beye, seit wenigen Tagen pensioniert, durchforstet auf dem Dachboden den Nachlass ihrer 1979 verstorbenen Mutter Minna. Endlich kommt sie, langjährige Angestellte im Ortsamt Walddörfer und beim Bezirksamt Wandsbek, dazu, sich die vergilbten Familienfotos in Ruhe anzuschauen, die Tagebücher ihrer Mutter aus der angestaubten Schatztruhe zu heben, die seitenlangen Briefe zu lesen.

Einer fällt ihr in die Hände - und auch gleich ins Auge: ein Dankesbrief, acht Seiten lang, enge Zeilen, mit der Maschine geschrieben. Unterzeichnet von einem gewissen Herbert Löwy. Einem jüdischen Krankenpfleger, wie Gertrud Beye in den nächsten Sekunden Satz für Satz erfährt, der - 1945 von der Deportation ins Konzentrationslager Theresienstadt bedroht - in der Fischbeker Heide drei Monate lang vor den Schrecken der Nazi-Diktatur versteckt wurde. Von mutigen Hamburgern, von den Schindlers der Hansestadt. Von Menschen, die wie der Unternehmer Oskar Schindler, der etwa 1200 bei ihm angestellte jüdische Zwangsarbeiter vor der Ermordung rettete, couragiert eingriffen. Wie eben Louise Müller und ihr Mann Fritz.

"Ich hatte keine Ahnung, dass Tante Louise, die Schwester meiner Mutter, etwas so bewundernswert Mutiges getan hatte", sagt Gertrud Beye, mittlerweile 83 Jahre alt. Für sie ist der Brief ein "wertvolles Dokument unserer Familiengeschichte". Für Ulrike Hoppe, Historikerin und Leiterin des Stadtteilarchivs Bramfeld, ist er ein "historischer Glücksfall". Denn über die Hamburger Retter, die während des Zweiten Weltkriegs unter dem Einsatz des eigenen Lebens Verfolgten Unterschlupf boten, sei fast nichts bekannt. Weder Namen noch Gesichter. "Man weiß nur, dass insgesamt zum Verzweifeln wenige geholfen haben."

Wenige, die selbstlos gegen das Unrecht des NS-Regimes kämpften. Die heldenhaft handelten, aber nie ein Wort darüber verloren. Während des Zweiten Weltkriegs nicht, weil es zu gefährlich gewesen wäre. Und später nicht, weil die Helfer selbst zu bescheiden waren. Jetzt aber rückt das Buch "... und nicht zuletzt Ihre stille Courage", ein Projekt der 14 Geschichtswerkstätten, diese bisher weitgehend unbekannten Hamburger in den Mittelpunkt. Die Idee zu dem Buch, das in einer Auflage von 2000 Exemplaren erschienen ist, entstand im Sommer 2008. Damals überreichte Gertrud Beye ebenjenen Dankesbrief, den sie im Nachlass ihrer Mutter gefunden hatte, an Ulrike Hoppe. "Plötzlich fiel mir der Brief wieder ein und ich dachte mir, dass er vielleicht doch nicht nur für mich interessant sein dürfte", sagt die 83-Jährige. Tatsächlich interessierte das Löwy-Dokument Hunderte von Hamburgern, die zu einer Lesung ins Ernst-Deutsch-Theater kamen. Daraufhin meldeten sich einige Zeitzeugen mit ihren jeweiligen Geschichten, etwa 15 davon bündelten die vier mit dem Projekt betrauten Forscherinnen der Geschichtswerkstätten in dem Buch, von dem 500 Exemplare in den nächsten Tagen an verschiedene Hamburger Schulen verschickt werden.

Auch eine Ausstellung, die im Herbst in der Bücherhalle Bramfeld und voraussichtlich im Frühjahr 2011 in der Rathausdiele zu sehen sein wird, ist aus dem Projekt entstanden. Kernstück ist dabei die Geschichte des Herbert Löwy. "Uns war gelungen, Kontakt zu seinen Kindern und einem Enkel aufzunehmen", sagt Ulrike Hoppe. "So konnten wir seine Lebensgeschichte sehr präzise rekonstruieren."

Herbert Löwy,1898 in Polen geboren, arbeitete ab 1918 als Pfleger im Krankenhaus von St. Georg. Dort lernte er seine spätere Frau Anni Fasshauer kennen, die beste Freundin von Gertrud Beyes Tante Luise. Das Paar bekam drei Kinder und wohnte an der Schmachtgäger Straße, auf der Grenze zwischen Barmbek und Bramfeld.

Bis 1933. Bis Herbert Löwy gekündigt wurde. Bis die täglichen Diskriminierungen und Schikanen einsetzten. Nach der Reichspogromnacht im November 1938 kam Herber Löwy ins Gefängnis Fuhlsbüttel, wo er wochenlang drangsaliert wurde. Kurz darauf wurde er in Sachsenhausen bei Berlin inhaftiert. Eine Zeit, über die er später nie ein Wort seinen Kindern oder Enkeln erzählen wollte.

1939 wurden die Löwys, deren Ehe wegen des evangelischen Glaubens der Frau als "Mischehe" galt, aus ihrer Wohnung vertrieben. Anni Löwy mietete sich ein möbliertes Zimmer, die Kinder kamen zu ihren Eltern - Herbert Löwy selbst tauchte unter. Ihr Heimatland zu verlassen war den Löwys nie in den Sinn gekommen. "Herbert Löwy hatte im Ersten Weltkrieg für das deutsche Kaiserreich gekämpft, er war ein Patriot", sagt Gertrud Beye, die sich an Kindergeburtstage mit den Löwy-Kindern erinnert.

Herbert Löwy kam zunächst unter falschem Namen bei einem Freund in Sasel unter - bis er dort von einem Besucher fast enttarnt wurde. 1945 flüchtete er in die Fischbeker Heide zu dem befreundeten Ehepaar Müller, das ihn drei Monate lang versteckte. Bis der Krieg vorüber war. Über seine Retter schrieb Herbert Löwy, der 1969 als 70-Jähriger starb: "Ich werde ihre edle Tat nie vergessen. In meinem Herzen habe ich ihnen ein Denkmal gesetzt, das unsterblich sein wird."

Jetzt, durch die Initiative der Hamburger Geschichtswerkstätten, wird dieses Denkmal öffentlich. Als einmaliges Beispiel für Courage.

Das Buch ist für 19,80 Euro in jeder Hamburger Geschichtswerkstatt sowie im Buchhandel erhältlich.

Weitere Informationen: www.hamburger-geschichtswerkstaetten.de