Er stand und stand und stand. Im Lack kein Kratzer, Reifen nicht abgefahren, Papiere bestens erhalten - und 228 Kilometer auf dem Tacho.

Hamburg. Wenn der Eismann zweimal klingelt, zerbricht die Stille des Werfelrings. Kinderschritte hallen zwischen Häuserreihen, es gibt Eis! Die rotgeklinkerte Reihenhaussiedlung erwacht aus ihrem Mittagsschlaf. Ein orangefarbener Käfer wurde sogar erst nach 34 Jahren aus der ewigen Ruhe wachgeküsst. Seit 1974 schlummerte der VW 1200 L in einer der rund 180 Garagen. Ein Neuwagen, 228 Kilometer auf dem Tacho. Er stand und stand und stand. Hans-Ulrich Groffmann (82), sein Eigentümer, starb vor zwei Jahren, wie die Reporter von "Auto-Bild" herausfanden und in der heute erscheinenden Ausgabe berichten. Ein Umzugsunternehmer erwarb den alten Neuwagen und will ihn jetzt beim Hamburger Klassiker-Händler "Garage 11" verkaufen - für stattliche 24.900 Euro.

Im Lack findet sich kein Kratzer, die Reifen sind nicht abgefahren, sämtliche Papiere sind bestens erhalten, inklusive Diagnose-Lochkarten für die Werkstatt. Der ganze Wagen sieht aus wie am 25. März 1974. An jenem Montag läuft der leuchtorange (Farbe Nummer 205) Wagen mit der Fahrgestellnummer 1142617444 im Brüsseler VW-Werk vom Band, wird vier Tage später in die Raffay-Filiale im Mittelweg gebracht. Dort steht der Wagen bis zum 3. Mai 1974, dann fährt ein Verkäufer mit dem 34 PS starken Bestseller quer durch Hamburg bis an den Stadtrand nach Bramfeld.

Im Werfelring sucht sich der VW-Mann einen Parkplatz, klingelt an einem Reihenhaus mit der Nummer 70 G, der Wohnung von Hans-Ulrich Groffmann. Der 48-Jährige lebt dort seit 1962 mit Frau und zwei Kindern. Ein Auto hatte die Familie bisher nicht. Sie wollte nie eins. Die Garage ist voller Fahrräder, und das ist ein Problem. "Garagen mussten mit Autos belegt sein, um diese von der Straße zu bekommen", erinnert sich Hans-Dieter Groffmann, der Sohn. Doch sein Vater will kein Auto, es folgt ein heftiger, langer Briefwechsel zwischen Eigentümergemeinschaft und dem streitbaren Revisor, der beim Mineralölkonzern BP arbeitet.

Es soll alles seine Ordnung haben. Also kauft sich Groffmann beim Händler Raffay einen gerade vorrätigen Käfer. Als Platzhalter, um seine Garage nicht zu verlieren. Kurzentschlossen fährt er zum VW-Händler und unterschreibt einen Kaufvertrag. Preis inklusive Extras wie beheizbarer Heckscheibe, Kraftstoffvorratsanzeige und Beifahrerhaltegriff mit Kleiderhaken: 6125 Mark. Nach dem Käferkauf kehrt Frieden ein im Mikrokosmos Werfelring. Sein eigener Kopf ist wohl auch der Grund dafür, dass Groffmanns Käfer nur 228 Kilometer hinter sich hat. Als das Auto einmal angeschafft ist, will Gattin Dorothea es auch benutzen - und die Einkäufe für die Familie nicht mehr kilometerweit mit dem Fahrrad befördern.

Also fährt die Familie sonnabends zum Einkaufen auf dem Wochenmarkt - und es kommt zum nächsten Käferkrach. Sohn Hans-Dieter Groffmann, damals zwölf, erinnert sich an "massive Ehestreitigkeiten. Wenn nichts los war, fuhr mein Vater einfach bei Rot." Sein Vater hatte seit 1945 nicht mehr am Steuer gesessen, kannte kaum Verkehrsregeln. Ein Bruder ist Fahrlehrer, bietet Hilfe an, doch Groffmann sagt stur: "Mach ich nicht." Also meldet der Volkswirt den Käfer am 12. Januar 1976 ab und stellt ihn für 34 Jahre in die Garage. Die TÜV-Plakette gilt bis Mai 1976. Irgendwann lassen sich die Groffmanns scheiden, Hans-Ulrich lebt allein. Vor den Garagenreihen steht ein Schild: "Nur Pkw", ist da zu lesen. Auch im Jahr 2010 noch.