Abschied: 69 Jahre nach der ersten Idee und nach fast 22 Millionen Wagen stellt Volkswagen die Produktion auch in Mexiko ein.

Hamburg. Er war ein Auto und doch viel mehr: Vorhut des deutschen Wirtschaftswunders, Wunschtraum von Millionen, Philosophie und Legende. Er war praktisch, unverwüstlich, klassenlos und er gefiel den jungen Frauen. Er war die erste Liebe oder die Gelegenheit zur ersten Liebe - was ihm Beinamen wie "Liebeslaube" oder "Knutschgondel" einbrachte. In die Erinnerung und die Autogeschichte aber ist er eingegangen als der "Käfer". Jetzt aber, nach 69 Jahren, ist es mit dem Käfer vorbei: Im Juli 2003 rollt der Ur-Volkswagen in Mexiko zum letzten Mal vom Band. Die Produktion lohnt sich nicht mehr. Nach 21,5 Millionen produzierten Käfern ist Schluss! Technisch war an dem rasenden "Ei" eigentlich nicht so viel dran: Es war außen sehr laut und innen sehr eng. Man saß senkrecht wie auf einer Kirchenbank. Im Winter herrschte "Lage Sibirien", weil die Maschine allenfalls bei Vollgas heizte. Beschlagene und vereiste Fenster verlangten vom Fahrer Blindflugtalente. Weil der luftgekühlte Boxermotor im Heck arbeitete, fand man unter der Fronthaube nur kärglichen Stauraum: Treibstofftank, Reserverad, Werkzeug und das bewusste Wochenendköfferchen balgten sich um jeden Quadratzentimenter Raum. Dafür kam man aber spielend an die dürftige Technik heran, wurde von elektronischen Geniestreichen nicht genervt und konnte den flatterhaften Keilriemen im Notfall sogar durch einen Damenstrumpf ersetzen - falls die Dame denn bereit war, den zu investieren. Das blechern röhrende Motorchen mit seinen 24, 30 oder 34 Pferdchen schaffte jeden Berg, jeden winterlichen Pass und kam höchst selten außer Puste. Welches Auto durfte sich ungestraft einen so provozierenden Werbespruch leisten wie: " . . . und läuft und läuft und läuft . . . " Drei Männer waren für den automobilen Schlager des Jahrhunderts verantwortlich: Der 55-jährige Ingenieur Ferdinand Porsche, der 1934 schon den "Volkswagen" vorausgeahnt hatte. Der Diktator Adolf Hitler, der Porsche befahl: "Bauen Sie einen Volkswagen! Er darf nicht mehr als 999 Mark kosten und muss einer vierköpfigen Familie Platz bieten." Und schließlich der Ingenieur Heinz Nordhoff aus Hildesheim, seit 1948 erster VW-Chef, der den Buckligen aufs Band stellte und ihn per immer neuen Verbesserungen fit machen ließ für das deutsche "Wirtschaftswunder". Insgesamt wurden die 30 000 Bestandteile des Wagens mehr als 78 000-mal verbessert. Als die Rekordzahlen des Autos ins Kraut schossen, müssen die britischen Sieger außer sich gewesen sein: Sie hatten den Nazi-Volkswagen als Kriegsbeute glatt verschmäht, weil er "zu hässlich und zu laut" sei. Aber dann kamen die Schlagzeilen: 1955 lief das 1 000 000. Exemplar vom Band. Goldfarben und mit strassbesetzten Stoßstangen steht es heute im VW-Museum zu Wolfsburg. 1972 wurde mit 15 007 034 Exemplaren der Weltrekord der "Tin Lizzy" von Ford gebrochen. Und "Herbie der tolle Käfer", der schwimmen, fliegen und denken konnte und seinen Besitzer so heiß liebte, wurde in vier Walt-Disney-Filmen zum Star. Mitte der 70er-Jahre aber war sogar dieses Märchen zu Ende: Die Menschen einer neuen Zeit wollten den Käfer nicht mehr. Die Verkaufszahlen brachen ein, 1978 wurde der "Typ 1", wie er im VW-Werk genannt wurde, in Emden zum letzten Mal für Europa montiert. Der neue "Golf" rettete VW in letzter Stunde, der abgedankte Alte musste ins Exil nach Mexiko. Seine Zeit ist vorüber, der Lorbeer verwelkt.